Bücher und Aufsätze, in denen nach 1945 NS-Ansichten verbreitet oder NS-Untaten verschwiegen, verdreht  oder geschönt werden.

Städte:

MÜNCHEN

In der zweiten Hälfte der Fünfziger Jahre erschienen zwei (jedenfalls für damalige Verhältnisse) opulente  Bücher zum Lob  der Stadt München:

Ernst Hoferichter, München, Stadt der Lebensfreude, Kindler 1958,

und gewissermaßen als Festschrift der Stadt zum Jubiläum „800 Jahre München-Nennung“ :

„Lebendiges München -  Im Auftrag der bayerischen Landeshauptstadt herausgegeben von Rolf Flügel“ Bruckmann 1958, 400 Seiten,

Beide Bände sind großzügig bebildert und in Ganzleinen gebunden.

Es gab möglicherweise noch mehr solcher München-Selbstfeier-Bände; aber die vorgenannten zwei sind in meinem Eigentum und daher leicht greifbar.

Mit dem Thema „Nationalsozialismus“ macht es sich Hoferichter sehr einfach. Hier in München, behauptet er,  hätten sich „die ersten antifaschistischen Runden und Zirkel“ gebildet. „Denn schon allein die völlig Humorlosigkeit und Gemütsarmut dieses ‚Führers’ musste einer Stadt wie München von Grund auf wesensfremd erscheinen.“ (147). 

(Nichts davon, dass München mal als „Hauptstadt der Bewegung“ galt, dass es dort ein „Braunes Haus“ gab, dass Adolf  Hitler diese Stadt als Ziel gewählt hatte, als er aus Österreich emigrierte, dass er hier fast zwanzig Jahre seines Lebens wohnte, dass aus München  einer der eifrigsten Anhänger Hitlers stammte: Heinrich Himmler).

„Der Münchner“, so Hoferichter weiter,  habe in den Jahren des Dritten Reichs viel schwindeln müssen, und das sei ihm doch so „wesensfremd“ gewesen.

Man merkt: Die Geschichte wird von Hoferichter ohne Bedenken umgeschrieben.

Vergleichsweise ausführlich werden die Zerstörungen in München durch die alliierten Bomber aufgeführt, hingegen erfahren wir  von ermordeten Münchner Juden und anderen Menschen, die den Nationalsozialisten  missliebig waren, nicht eine einzige Zeile.

Als Autoren des Jubiläumsbandes „Lebendiges München“ wurden zahlreiche, auch heute noch  einigermaßen bekannte Schriftsteller und Journalisten versammelt, u. a. Walter Kiaulehn, Wolfgang Petzet, Eugen Roth, Paul Alverdes, Wilhelm Hausenstein, Ernst Hoferichter, Karl Alexander von Müller, Walther Gerlach, Hermann Uhde-Bernays, Ursula von Kardorff, Siegfried Sommer. Auch die große Autorenzahl ändert nichts daran, dass das Dritte Reich als einschneidender Zeitraum der Stadtgeschichte in diesem dicken Buch  fast nicht in Erscheinung tritt; es gab wohl so etwas wie eine schweigende Übereinstimmung der Autoren in puncto „Drittes Reich“.

Alles, was unschön war an der Geschichte der Stadt in den NS-Jahren ist in diesem schönen Buch, erschienen 13 Jahren NACH dem Ende des Dritten Reichs, AUSGEBLENDET. Natürlich schmückt man sich gern mit Namen großer Wissenschaftler, etwa dem des Chemie-Nobelpreisträgers Richard Willstätters. Aber wir erfahren nichts davon, dass Willstätter  1938 vor der NS-Rassenverfolgung in die Schweiz emigrierte. Bedeutende Söhne der Stadt oder bedeutende Stifter der Stadt kommen nicht vor, wenn sie Juden waren, etwa der Museums-Mäzen James  Loeb oder der Historiker George F. W. Hallgarten.

Im Kapitel über Verleger und Autoren wird stolz der Kurt-Wolff-Verlag vermerkt, der von Leipzig nach München zog (1919), „wo er in der Zeit von anderthalb Jahrzehnten Heinrich Mann, Rabindranath Tagore, Meyrink, Werfel, Sternheim, Arnold Zweig, Edschmid, Georg Heym, Anatole France, Else Lasker-Schüler verlegte“.

Warum es diesen Verlag irgendwann (während des Dritten Reichs) nicht mehr gab und auf welche Weise und wo  Kurt Wolff die letzten Jahre seines Lebens, nach 1933, verbrachte, nämlich als politischer und rassischer Flüchtling in den USA und der Schweiz, darüber erfahren wir nicht eine einzige Zeile.

Jüdische Deutsche wie Lion Feuchtwanger, Bruno Walter, Hermann Levi, Max Reinhardt, Julius Spanier, Max Littmann, Otto Bernheimer, Kurt Eisner und viele andere mehr lebten und wirkten in München, nur einer, Hermann Levi, scheint mir in diesem Buch genannt zu werden (aber nicht  der Fakt, dass er Jude war).

Von Nationalsozialismus ist nirgendwo in diesem Band die Rede, nur von „Kriegsende“. Das ist eine im deutschen Bürgertum  beliebte Formulierung,  die den NS-Staat und seine Folgen in die Sphäre des Schicksalhaften verschiebt, jenseits von menschlicher Entscheidung. 

Zu den Autoren dieses Bandes zählt u.a. Karl Alexander von Müller, während des Dritten Reichs ein engagierter Nationalsozialist, bereits in den 20 Jahren gut bekannt mit Adolf Hitler. Karl A. von Müller trägt das Kapitel „Im Spiegel der Wissenschaften“ zu diesem Jubiläumsbuch bei; er befasst sich dabei aber wohlweislich nicht mit den Wissenschaften im Dritten Reich, als er selbst zu deren Münchner Organisatoren zählte, sondern beendet seinen Beitrag zeitlich nicht genau fixiert etwa mit dem Ersten Weltkrieg. Der Physik-Professor Walther Gerlach steuert einen eigenen Aufsatz „Forscher und Lehrer von Weltgeltung“ bei. Hier heißt es über das Institut für Papyrusforschung und Antike Rechtsgeschichte: „Nach 1934, als römisches (und anderes) Recht wenig gefragt war, sank seine Bedeutung nach außen, 1945 verbrannten amerikanische Soldaten die wertvolle Bibliothek im Schloß Wasserndorf in Franken“. Nobelpreisträger Willstätter wird zwar erwähnt, sogar mit Bild, aber von seinem Schicksal lesen wir nichts.

 

zurück zur Seite: Bücher und Aufsätze NS-Ansichten

zurück zur Seite: Städte

eMail:  Veit.Feger@t-online.de

zurück zur Hauptseite