Bücher und Aufsätze, in denen nach 1945 NS-Ansichten verbreitet oder NS-Untaten verschwiegen, verdreht  oder geschönt werden.

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EHINGEN (Donau)

Das Standardwerk zur Ehinger Stadtgeschichte ist nicht frei von antisemitischem Zungenschlag 

Das Standardwerk zur Geschichte der Stadt Ehingen an der Donau ist Franz Michael Webers „Ehingen – Geschichte einer oberschwäbischen Donaustadt, Herausgegeben von der Stadt Ehingen 1955, 2. unveränd. Aufl. 1980.

Franz Michael Weber war lange Jahre Pfarrer der katholischen Gemeinde Griesingen nahe Ehingen. Webers 423 Seiten starke Stadtgeschichte endet mit dem Ende der Weimarer Republik. Weber gibt dafür eine eigenartige Begründung: „Die Zeit, in der die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei die Macht behauptete,“ ist „noch zu sehr Gegenwart, als dass sie schon in einem Geschichtswerk, das keinem zulieb und keinem zuleid geschrieben sein soll, in diesem Zeitpunkt behandelt werden könnte.“

Dass diese Stadtgeschichte „keinem zuleid“ geschrieben sei, kann man nur dann annehmen, wenn jene, denen sie doch wehtun könnte, nicht mehr zu den Lesern gehören, weil sie nicht mehr leben oder nicht mehr in DEUTSCHLAND leben. Die sehr konservative Grundstimmung des Autors ist an einigen Stellen  gut merklich, etwa bei der Behandlung der 48er Revolution; dass des Autors Grundhaltung auch  antisemitisch ist, wohlgemerkt: Jahre nach dem Ende der großen deutschen Juden-Verfolgung durch deutsche (und nicht-deutsche) Antisemiten, das ergibt sich aus einer genauen Analyse des Kapitels „Die Bewohner der Stadt“, Unterkapitel „Die Juden in Ehingen“ S. 164f).

"1348 war bekanntlich für die Juden ein sehr kritisches Jahr"

Weber nennt jenes Jahr ein "kritisches Jahr". Was beinhaltet dieses schönredende „kritisch“?  - Es bedeutet  dutzende SCHEITERHAUFEN in Deutschland, Raub und Enteignung in großem Maßstab, Verjagung.

"Der schwarze Tod mit seinem großen Sterben wurde ihnen zur Last gelegt, indem man sie verdächtigte, sie hätten die Brunnen vergiftet. Allenthalben brachen Judenverfolgungen aus, oft recht grausamer Art."

Nicht ein einziges Sätzlein, dass es keinerlei Beleg für die Beschuldigung der Brunnenvergiftung gibt, außer vielleicht Geständnisse infolge von Folterung.

Sehr wohl bekannt ist aber, dass das Wichtigste an den Vertreibungen der Juden für ihre christlichen Peiniger die Verbrennung der Kreditbriefe war, die straffreie "Entschuldung" der Gläubiger ohne Rückzahlung von Schulden.

 Es wird  heute von verschiedenen  Historikern die Annahme vertreten, dass die Beschuldigungen gegen jüdische Menschen in Deutschland vor allem von SCHULDNERN lanciert wurden, die auf diese Weise  "entschuldet" werden wollten.

In Ehingen hätten die Juden "viel zu leiden gehabt" .... "Manche sind da wohl, wenn nicht alle, aus der Stadt ausgewandert, wenn ihnen nicht ein schlimmeres Schicksal beschieden war."

Bitter an dieser Passage:  Die Brutalität der damaligen Verfolger wird als "Schicksal" verharmlost,  als ob das etwas von OBEN, vom lieben Gott  oder vom Teufel Angerichtetes gewesen sei , nichts, woran MENSCHEN die Schuld trügen.  Die Verursacher sind etwas ANONYMES.

  1. 165 schreibt Weber, die Juden seien "der Stadt ...zur Last" gewesen, weil sie "wegen ihres gefürchteten Wuchers ... oft genug Schaden" anrichteten, und, so kann man  aus dem Zusammenhang annehmen: Die  Stadt Ehingen konnte an den in ihren Mauern wohnenden oder tätigen Juden keinen steuerlichen Gewinn abschöpfen; die sogenannte Judensteuer war ein „Regal“, ein Königsgut, diese Steuer  floss an den deutschen König oder Kaiser.

Man vermag diesen jüdischen Wucher erst  richtig einschätzen, wenn man in Anschlag bringt, dass die Juden in unvorstellbarer Weise, wo es nur ging, geschröpft wurden, sie wurden geschröpft dafür,  dass sie eine Stadt zwecks Handel betreten durften, dafür, dass sie heiraten durften, dass sie Kinder haben durften etc. etc.

Nicht umsonst wanderten Juden etwa seit dem Jahr 1200 dreihundert Jahre lang in großer Zahl nach Polen und Litauen und weiter bis in die polnisch beherrschten russischen Gebiete,  wo sie - als schreib- und geschäftskundige Leute - in einem rein agrarischen Land geschätzt und gefragt waren. Wenn das mit dem Geldverleih ein so fabelhaftes Geschäft für die Juden gewesen wäre, warum hätten sie dann Deutschland verlassen sollen?

Nun  kommt aber bei Weber ein wirklich hammerharter Satz (wohlgemerkt: geschrieben NACH 1945, also, NACH der deutsch-organisierten Shoa, und mit Geld der Stadt Ehingen mindestens zweimal GEDRUCKT):

"Die Juden scheinen die Stadt wirklich um 1457 nach dem Tod des Pfandherrn Hans von Stadion verlassen zu haben... Die Judenfrage war aber für die Stadt mit dem Abzug der Juden nicht gelöst."

Das Wort "Judenfrage" ist ein zentraler Begriff antisemitischer Schriftsteller und Politiker seit dem 19. Jahrhundert. Und "die Judenfrage lösen" hieß in Deutschland im „Dritten Reich“ VERTREIBUNG oder AUSLÖSCHUNG.

Man muss sich vorstellen: Weber verwendet eine klare NS-Formel  ohne jedes Bedenken, ohne die mindeste Scham, NACH dem NS-Reich und NACH seinen (spätestens: inzwischen) bekannt gewordenen Untaten.

Ich bin versucht anzunehmen: Die „Lösung der Judenfrage“ im Dritten Reich war etwas,  worauf Weber  -  wie viele andere Antisemiten - gewartet hatte.

Die Formulierung  "ungelöste Judenfrage" kommt 15 Zeilen später ERNEUT  vor; Franz Michael  Weber setzt mit "zudringlich" noch eins drauf:

"Auch künftig wurde für Ehingen die Judenfrage nie ganz gelöst. Die Stadt hatte sich dauernd der jüdischen Zudringlichkeit (!) zu erwehren. Denn die Haltung der verschiedenen Herrschaften ihnen gegenüber war durchaus nicht einheitlich, und bei der Vielheit von kleinen und großen Herrschaften war dies für Ehingen verderblich" (!)... "Die Lage des (!) Juden wechselte von Ort zu Ort, von Land zu Land. Für die landesherrlichen Regierungen Österreichs und Württembergs, welche die Juden sorgsam (!) fernzuhalten suchten, gereichte es oft zu großem Verdruß (!), wenn benachbarte ritterschaftliche Dorfherren in späterer Zeit Juden gegen ein Schutzgeld als Schirm- oder Schutzjuden aufnahmen. So waren auch um Ehingen Juden stets in erreichbarer Nähe und die Verbote ihnen gegenüber konnten leicht umgangen (!) werden." 

Ich vermute, dass Landesherren wie die Württemberger und viele Freie Reichsstädte  DESHALB  versuchten, Juden NICHT  in ihrem Gebiet tätig werden zu lassen, weil sie nicht per Besteuerung den Rahm abschöpften durften, weil die Besteuerung der Juden  eine wichtige Einnahmequelle des damaligen Kaisers war und  also an den Landesherren und Stadtherren  (zumindest teilweise) vorbeifloss. Außerdem waren Juden für die christlichen Händler der Reichsstädte eine harte Konkurrenz: wer ist schon daran interessiert, Konkurrenz zu haben; wer eliminiert sie nicht gern, wenn er es kann?!

Wenn man sich den "Geist" in diesen Zeilen Franz Michael Webers vergegenwärtigt - und man darf annehmen, dass Weber  zu seiner Zeit  keine Ausnahme darstellte - ,  dann ist es auch nicht verwunderlich,  dass in den FÜNFZIGER Jahren zwei jüdische Grabsteine des Ehinger Museums auf einer Ehinger Müllkippe entsorgt wurden.

Diese beiden Grabsteine  gehörten damals zu den ältesten bekannten jüdischen Grabsteinen Württembergs!  Sie stammten aus dem 14. Jahrhundert. Dass sie jahrzehntelang im Ehinger Museum standen,  davon steht bei Weber nichts, auch nicht, an welcher Stelle und bei welcher Gelegenheit sie "entdeckt" worden waren. - Ich selbst erfuhr von der Existenz dieser Grabsteine erstmals Mitte der Sechziger Jahre, als ich an der Frankfurter Uni (von jüdischen Deutschen verfasste und herausgegebene) Bücher zur jüdischen Geschichte aus der Zeit VOR der Vertreibung und Ermordung durch die Nationalsozialisten "entdeckte" und las. Die Ehinger jüdischen  Grabsteine  waren vor dem Ersten Weltkrieg wieder „entdeckt“ worden, bei Reparaturen am Fundament der katholischen Stadtpfarrkirche „St. Blasius“.  Dies Grabsteine stammten wahrscheinlich von einem  einstigen jüdischen Friedhof (vermutet wird: neben der Ehinger „Pfisterburg“) und an einer „Hindenburgstraße“(!). - Die Inschriften der Grabsteine waren weitgehend entzifferbar.

Laut Auskunft des Ehinger Heimatforschers  Siegfried Mall waren die Grabsteine Anfang der 30er Jahre vom Vorsitzenden des Ehinger Altertumsvereins für jene vorgenannte jüdische Publikation fotografiert worden. In Ehingen wurden Fotos der Grabsteine  erstmals  publiziert in einer Broschüre zur Stadtgeschichte, „Erinnerungen an Alt-Ehingen“, herausgegeben von der Museumsgesellschaft 1983 und in der damals von Veit Feger verantworteten Ehinger Schwäbischen Zeitung.

Noch etwas zum Thema "Entsorgung jüdischer Reste in den Fünfziger Jahren".  Die im Zusammenhang mit der Pogromnacht 1938  innen massiv beschädigte, aber äußerlich auch nach der NS-Zeit wohlerhaltene Synagoge von Altenstadt / Iller wurde  erst in den Fünfziger Jahren abgebrochen. - Derlei "Entsorgung" der Vergangenheit NACH dem NS-Reich  war kein Einzelfall in Südwestdeutschland. Besser wurde es damit erst etwa ab den 80er Jahren, das heißt: JAHRZEHNTE NACH dem Ende des NS-Reichs.                                  

(Juli 2009)

 

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