„Eine Geschichte ist dann zu Ende erzählt,
wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat.“ (F. Dürrenmatt)
Ich fragte mich immer wieder mal, welches Thema ich (schreibend) anpacken soll.
Bleibt eigentlich fast nur noch EIN Genre, das mich fasziniert: „Schicksale
erzählen“.
Welche Schicksale faszinieren mich vor allem? - SCHRECKLICHE…….
Solche, die den Unsinn des Weltlaufs fühlbar machen.
Für dieses weite Thema hab ich im Lauf von Jahren immer wieder Material
gesammelt, Material eben für die Darstellung „verrückter“, schrecklicher
Schicksale.
Gesammelt hab ich immer nach dem Motto des Schweizer Schriftstellers Friedrich
Dürrenmatt
„Eine Geschichte ist dann zu Ende erzählt, wenn sie ihre schlimmstmögliche
Wendung genommen hat….“
Ich les grad (August 2013) einige der von mir schon vor längerem recherchierten
und dann notierten „Schicksale“.
Ich bin konsterniert……..Mich überkommt „der Menschheit ganzer Jammer“……
Ich frage mich: Wird das überhaupt jemand solche Geschichten lesen wollen, die
gegen jeden Lebensmut und Optimismus sprechen?! (Mir fällt an mehreren dieser
eher zufällig gewählten Schicksale auf, dass das Dritte Reich in ihnen eine
wichtige – und wie anders als SCHRECKLICHE - Rolle spielte….)
Der Philosoph und seine Ehefrau haben ihre Außenbeziehungen.
Kuckucksei … Geheimhaltung… Outung ………..
Einer der berühmtesten deutschen Philosophen des 20. Jahrhunderts war Martin
Heidegger, Professor in Marburg und Freiburg. - Heidegger ging während seiner
Ehe mit mehreren Frauen „fremd“ (wie dieser komische deutsche Ausdruck heißt).
Seine Frau ertrug dieses Verhalten. Viele Frauen tun das nicht. Möglicherweise
lag der Grund für ihre Toleranz darin, dass sie einen wichtigen Grund zur
Duldsamkeit hatte, nämlich die selbe Verfehlung wie ihr Ehemann – etwas, wovon
zu Lebzeiten außerhalb der Familie niemand etwas wusste: Frau Heidegger war
selbst ebenfalls als VERHEIRATETE fremdgegangen; sie hatte bereits früh nach der
Eheschließung ein Kind von einem ANDEREN Mann bekommen, von einem Jugendfreund.
– Martin Heidegger behandelte diesen Jungen sehr ehrenwert, so als ob es ein
eigener Sohn wäre. - Die Mutter sagte diesem Sohn, als er 14 Jahre alt war, er
stamme von einem ANDEREN Mann, nicht von seinem offiziellen Vater.
Dieser Sohn wählte einen recht un-philosophischen Beruf, aber doch einen, der
zur politische Grundeinstellung seines Stiefvaters passte: Er wurde Militär. Die
Mutter band ihm aufs Herz, dieses Geheimnis seiner Geburt nie zu verraten,
jedenfalls aber nicht zu ihren Lebzeiten. – Die Enkelin von Elfride geborene
Petri gab nach dem Tod des Ehepaars Heidegger Briefe von Martin an seine Frau
heraus; darin wurde dieses Geheimnis offenbar. Nun musste oder brauchte oder
konnte auch der Stiefsohn Martin Heideggers diesen jahrzehntelangen „Makel der
Geburt“ nicht mehr geheim halten.
(eine Quelle: Gertrud Heidegger: "Mein liebes Seelchen!". Briefe von Martin
Heidegger an seine Frau Elfride. 1915-1970. Deutsche Verlags-Anstalt, München
2005)
Ein Menschenfreund muss ins Exil
Carl Heinrich Rösch, Begründer einer menschenfreundlichen Therapie geistig
Behinderter (1808 – 1866)
C. H. Rösch studiert von 1825 bis 1828 Medizin in Tübingen. Er ist ab 1830
Amtsarzt in Schwenningen. Er gründet dort einen „Mäßigkeitsverein“ und ein
„Bürger-Museum“ als Erwachsenenbildungsstätte. In seiner Tätigkeit als Amtsarzt
hat Rösch auch mit dem sogenannten Kretinismus zu tun. Im Auftrag des
württembergischen Königs bereiste er mehrere Monate das Königreich, um weitere
Informationen über diese Krankheit und ihre Verteilung zu gewinnen. Bei seiner
statistischen Erfassung wird er von den Pfarrämtern (die damals gewisse
standesamtliche Funktionen ausübten), unterstützt. So entstand eine beachtliche
Studie über die demographische Seite der Krankheit. Verteilung. Rösch besuchte
im Zusammenhang mit dieser Arbeit auch den Schweizer Arzt Johannes Guggenbühl
auf dem Abendberg bei Interlaken. In der dortigen Anstalt konnte er feststellen,
dass auch bei Menschen mit Behinderung durch gezielte Förderung eine Besserung
möglich ist.
Rösch nahm an, dass die gute Höhenluft und das klare Wasser in Interlaken zur
Besserung beitrugen. So suchte er in Württemberg ebenfalls nach einer Höhenlage,
und nach einer großzügigen Unterbringungsmöglichkeit und gründete 1846 auf der
Sigmaringer Alb den Verein „Mariaberger Heime“; im Mai 1847 wurde in dem in der
Säkularisation aufgehobenen einstigen Frauenkloster ein erstes Heim eröffnet.
Dort werden bis heute behinderte Menschen betreut. - Röschs politisches,
pro-demokratisches Engagement im „Vaterländischen Verein“ in Bad Urach führt
dazu, dass er 1850 (nach der Restauration der alten königlichen Regierung 1849)
nach Gaildorf versetzt wird. Im Herbst 1853 wandert er, weil er infolge seiner
politischen Einstellung nach wie vor in Württemberg einen schweren Stand hat,
mit seiner Familie über Frankreich in die USA aus. In Texas wird er zunächst
Farmer. Seine Frau und seine Tochter sterben an Cholera. Rösch zieht nach St.
Louis im Staat Missouri, wo viele deutsche Einwanderer leben, und ist hier dann
als Arzt und als Lehrer an einer Apothekerschule tätig.
Berufliche und familiäre Überlastung - Eine übereifrige Großmutter - Eine Mutter
tötet sich (2011)
Diese Verflechtung bitterer Lebensgeschichten kreist um mehrere mehrere
Personen, die hier zunächst genannt seien (Die Angaben stammen alle aus dem
Internet, insbesondere aus Presseveröffentlichungen)
Die wichtigsten Personen dieses Schicksals-Konglomerats:
a) Esther Yellin, eine im Jahr 2011 siebzigjährige Piano-Virtuosin, in der
Schweiz lebend.
Meine Empfindung bei dem, was ich über sie lese: glücklos in ihren
Geschlechtsbeziehungen. - Die Website dieser Pianistin trägt zur Beschreibung
eines zentralen Konflikts in ihrem Lebens fast nichts bei, das folgende ist dort
alles ausgeblendet; hingegen sehr viele Informationen enthält ein umfangreicher
Aufsatz in der englischsprachigen Ausgabe der israelischen Zeitung "Haaretz".
b) Das einzige Kind von Esther Yellin, Ilana Yellin-Panov, war die Leiterin
einer von ihr selbst aufgebauten internationalen Ballett-Truppe in Israel. Sie
tötete sich im Alter von 42 Jahren im Dezember 2009 durch einen Sprung aus ihrer
Hochhauswohnung. - Es leben zum Zeitpunkt meiner Formulierung, im Sommer 2011,
ihr damals zweieinhalbjähriges Kind, ihr damals 71jähriger Mann, ihre damals
70jährige Mutter.
c) Das zum Zeitpunkt der Selbsttötung der Mutter zweieinhalbjährige Kind Zlil.
Zlil war von seiner in Israel hart arbeitenden Mutter Ilana bald nach der Geburt
an die Großmutter Esther Yellin in der fernen Schweiz gegeben worden. - Ein
Grund für den Verzicht der Mutter auf ihr Zlil Kind war neben viel Arbeit auch:
Ilana war - wohl infolge von Schwangerschaft und Geburt – herzkrank geworden.
Sie wurde am Herzen operiert, die Operation scheint nicht gut gelaufen zu sein;
die Mutter tötete sich drei Monate nach dieser Operation. - Ihr Kind war schon
bald nach der Geburt zwischen seiner Mutter und seiner einen Großmutter, der
Pianistin, hin und her geschoben worden.
d) Valery Panov, der Ehemann von Ilana Yellin-Panov und dann Witwer, war einst
einer der berühmtesten sowjetischen Ballett-Tänzer (Solist im Leningrader
Kirov-Ballett). Er verlor durch die Selbsttötung seiner (dritten) Ehefrau, Ilana,
die Mutter für seinen damals zweieinhalbjährigen Sohn und die wichtigste Person
des offiziell von ihm geleiteten Ballett-Theaters in Ashdod. - Valery Panov hat
noch drei weitere, wesentlich ältere Kinder aus früheren Ehen: eines von ihnen
ist bereits tot; mit zwei anderen - erwachsenen - Kindern ist der Kontakt
abgebrochen oder minim (alles Angaben aus spätestens 2011).
Die spätere Piano-Virtuosin Esther Yellin, geboren 1940, hatte keine einfache
Kindheit. Sie kam in einem Land und zu einer Zeit auf die Welt, als deutsche
Soldaten und Sonderkommandos über ihr Heimatland Litauen herfielen. Ihr Vater
war der (jiddische )Schriftsteller Meir Yellin, ihre Mutter die Pianistin Dweira
Yellin Kormanaite. Ein Bruder ihres Vaters war Chaim Yellin, Anführer einer
antifaschistischen Untergrundbewegung im Ghetto von Kowno (Kaunas). Er wurde von
den Lagerbewachern 1944 gefangen, als er Männer aus dem Ghetto lotsen wollte; er
wurde umgebracht. Die kleine Esther konnte in einem Benediktinerkloster
überleben.
Nach der NS-Zeit traf sie ihre Eltern wieder. Sie brachte es in den
Nachkriegsjahren in ihrem damaligen Heimatstaat, der Sowjetunion, rasch zu
pianistischem Können, galt als Wunderkind, durfte an der höchsten
Pianisten-Schule der Sowjetunion, in Moskau, unter dem international berühmten
Professor Heinrich Neuhaus, studieren. - Sie verließ die Sowjetunion 1973
Richtung Israel, als ihre einzige Tochter, Ilana, grade sieben Jahre alt war.
Schon in frühestem Alter soll Ilana, so ihre Mutter Esther, höchste Begabung auf
verschiedenen Gebieten, vor allem in Musik, Literatur und Sprachen, gezeigt
haben, außerdem eine hohen Eigenwillen, was die Mutter so kommentiert: „Ich
konnte sie nicht erziehen.“ Erziehung scheint aber auch nicht notwendig gewesen
zu sein, weil die junge Ilana sowieso vieles oder alles richtig machte.
Bald nach der Emigration nach Israel trennte sich Esther von ihrem Mann und dem
Vater ihrer Tochter – eine Wunde für immer, wie sich auch noch Jahrzehnte später
zeigt, wo es nun um den grade mal zweieinhalbjährigen ENKEL von Esther geht.
Der Name des einstigen Ehemanns von Esther (und des Vaters von Ilana) wird in
dem von mir hier verwendeten Bericht der Zeitung „Haaretz“ NICHT genannt , das,
obwohl dieser Bericht sonst äußerst detailliert ist, obwohl mehrere Personen
namentlich genannt werden und obwohl bei mehreren Personen Privates nicht
geschont wird.
Esther Yellin ist sehr schlecht auf ihren einstigen Freund und den Vater ihrer
Tochter zu sprechen und wird jetzt, nach dem Selbstmord ihrer Tochter, von der
Angst umgetrieben, der biologische Vater von Ilana werde nun versuchen, deren
einziges Kind, Zlil, zu sich zu nehmen.
Ilana zeigte schon als Kind Begeisterung und Fähigkeit zum Tanz. Als Jugendliche
war sie eine große Schönheit; dem Dirigenten und Komponisten Leonard Bernstein
wird der Satz in den Mund gelegt: Ilana sei die größte Schönheit auf Erden.
Als Ilana acht Jahre alt war, versuchte ihre Mutter Esther, Kontakt zu dem
damals grade aus der Sowjetunion nach Israel eingewanderten Ballett-Tänzer
Valery Panin aufzunehmen. Panin sollte die Tanzfähigkeit von Tochter Ilana
begutachten und eventuell ihr Lehrer werden. Esther Yellin kannte Valery Panin
schon aus der Kindheit, als sie gemeinsam mit Valery Panin eine Abendschule in
Wilna besucht hatten: Diese beiden waren die einzigen KINDER in einer Klasse von
lauter ERWACHSENE: „zwei höchstbegabte jüdische Kinder, die abends die Schule
besuchten und tagsüber übten, sie am Piano, er auf dem Tanzboden“ (so Journalist
Rona Segal in „Haaretz“). - Valery Panin ist ein Jahr älter als Esther Yellin
und er ist fast drei Jahrzehnte älter als seine spätere Ehefrau Ilana.
Ilana war von dem neuen Lehrer Valery Panin begeistert und verliebte sich schon
als zwölfjährige in ihn. Aber Valery war verheiratet mit Galina, ebenfalls eine
berühmte Balletteuse aus der Sowjetunion. - Als Ilana 15 Jahre alt war, traf sie
Valery Panin wieder, damals an der Bonner Oper, an der er damals engagiert war.
Ihre Mutter Esther war mit der Tochter in den 80er Jahren nach Deutschland
gezogen, um, wie es heißt, die Ausbildung der Tochter zu fördern.
Heiraten konnte Ilana den geliebten Valery erst, als sie 30 Jahre alt war, weil
Valery sich da erst von seiner zweiten Frau Galina scheiden ließ.
Zwei Jahre nach der Hochzeit mit Valery Panin überredete Ilana ihren Ehemann
Valery dazu, mit ihr in ihre Heimat Israel zurückzukehren und dort gemeinsam
eine Balletttruppe aufzubauen. - Diese ist inzwischen über das Land hinaus
anerkannt.
Ilana leistete eine enorme zehnjährige Aufbauarbeit, unterstützt von ihrem
wesentlich älteren Ehemann Valery Panin.
Panin über seine fast drei Jahrzehnte jüngere, dritte Ehefrau: „Sie ist die
einzige Frau in meinem Leben, die mich WIRKLICH liebte.“ Alle anderen Frauen
hätten in ihren Beziehungen zu ihm nur eigensüchtige Ziele verfolgt.
Nach zehn Jahren Ehe und als fast vierzigjährige Frau wird Ilana schwanger.
Bekanntlich sind solche Schwangerschaften selbst für NICHT-berufstätige Frauen
in diesem Alter eine äußerste Anstrengung. Um so mehr aber für Ilana, die
unermüdlich von morgens früh bis spät abends mit ihrer Ballett-Truppe im „Panov
Ballet Theatre“ in Ashdod übte und auftrat. Sie brach während der
Schwangerschaft zusammen, gönnte sich aber trotzdem keine Ruhepause. - Von Ilana
wird aus dieser Zeit die Aussage berichtet, sie trage dieses Kind nicht für sich
selbst aus, sondern für ihre Mutter.
Dem biologischen Vater des jetzt zweieinhalbjährigen Zlil war die späte und
schwierige Schwangerschaft seiner Ehefrau wohl auch nicht geheuer: Geplant
scheint die Schwangerschaft nicht gewesen zu sein, andererseits sagt der Vater,
sich selbst entschuldigend, dieses Kind sei der einzige Nachkömmling aus Esthers
Familie, der das Dritte Reich und den Holocaust überlebe. (Nachkommenschaft zu
zeugen und großzuziehen gilt für jüdische Menschen als wichtiges, ethisch
gefordertes Lebensziel).
Für Valery ist Zlil sein viertes Kind (jedenfalls so weit er von Kindern WEISS -
kommentiert Haaretz nicht grade liebenswürdig). Ein Sohn aus seiner ersten Ehe
ist schon tot; ein zweiter Sohn, aus der Ehe mit Galina, lebt in Russland und
hat den Kontakt mit dem Vater seit dessen Scheidung von Galina ziemlich
abgebrochen. Dann gibt es noch eine Tochter in Europa aus einer nichtehelichen
Beziehung, auch hier scheint die Beziehung Vater-Kind nicht intensiv zu sein.
Bald nach der Geburt von Zlil stellten sich bei der vierzigjährigen Mutter große
Herzprobleme ein. - Ihre Mutter Esther, die in Europa geblieben war und auch das
Kind Ilanas dorthin zur Pflege genommen hatte, war dafür, dass die Operation in
ihrer und des Kindes Nähe, in der Schweiz, vorgenommen wird. Der Ehemann von
Ilana hingegen favorisierte Israel: Dort wäre die Operation von der Krankenkasse
des Ehepaars getragen worden, nicht so in der Schweiz. Esther verkaufte eigens
einen sehr teuren Flügel, um die Operation zahlen zu können.
Einige Monate NACH der Operation zeigte sich unumkehrbar, dass die Operation im
September 2009 und der Verkauf eines Flügels umsonst waren. Die Tochter kam nach
einer schwierigen und möglicherweise misslungenen Operation nur schwer wieder
auf die Beine. Sie war depressiv, nahm ihre Medikamente nicht ein oder nur
unregelmäßig, hatte große Angst, sie werde für verrückt erklärt und in eine
Psychiatrische Klinik eingewiesen, aus der sie nicht mehr entkomme. Sie sagte
auch, sie schäme sich vor ihrem Kind.
Zurück aus der Schweiz in ihrer israelischen Heimat stürzte sie sich Mitte
Dezember 2009 aus dem Fenster der Wohnung in einem Hochhaus in Ashdod.
Laut Zeitungsbericht machen sich nun Mutter und Ehemann der Toten gegenseitig
Vorwürfe, am Tod der Tochter bzw. Ehefrau schuld zu sein.
Die Mutter von Ilana und Großmutter von Zlil steht vor der Entscheidung, ihre
weiteren Lebensjahre der Pflege ihres Enkels zu widmen und damit zugleich ihren
Pianistinnen- und Lehrerberuf aufzugeben, oder aber weiterhin das zu tun, was
sie gut kann und ihr Leben lang getan hat, nämlich unterrichten. (2011)
Eine sehr freizügig lebende Frau wird EIFERSÜCHTIG
(wenn’s denn stimmt und nicht nur ein Verkaufsförderungstrick ist) (2010)
Die folgende „Geschichte“ gehört möglicherweise NICHT in eine Rubrik namens
„Schicksal“. Es kann sein (wie am Ende dieser Notiz erkennbar wird), dass das
hier dargestellte Schicksal einer Frau nur ein literarischer Coup zwecks
Buch-Verkaufsförderung ist. Die Geschichte hier basiert auch nur auf Äußerungen
EINER einzelnen Person. Wenn sie die WAHRHEIT notierte, kann man schon von
„Schicksal“ sprechen - aber nur DANN ….
Cathérine Millet ist eine 1948 geborene französische Kunstwissenschaftlerin,
Journalistin, Kunstzeitschriften-Herausgeberin und Autorin auch von
Bekenntnisbüchern, wobei das ERSTE dieser Bekenntnisbücher (oder vermuteten
Erkenntnisbücher) ein WELTerfolg wurde und wohl noch ist (zahlreiche wichtige
Angaben zur Autorin: http://de.wikipedia.org/wiki/Catherine_Millet. - Das erste
der beiden „Bekenntnisbücher“ erschien zu BEGINN des ersten Jahrzehnts im neuen
Jahrtausend, das zweite „Bekenntnisbuch“ zum ENDE jenes Jahrzehnts. - Der „Clou“
des zweiten Buchs wird deutlicher, wenn man über eine gewisse Kenntnis des
ERSTEN der beiden Bücher verfügt.
Das erste der zwei Bücher erschien auf Französisch und auch auf Deutsch im Jahr
2001 (zudem inzwischen in Dutzenden weiteren Sprachen), das zweite Buch erschien
auf Französisch im Jahr 2008, auf Deutsch im Jahr 2010. - Das erste der beiden
Bücher ist inzwischen in einer Auflage von ein bis zwei Millionen Exemplaren
weltweit verbreitet.
Cathérine Millet erzählt im ersten der beiden Bücher, entsprechend dem Titel „La
vie sexuelle de Cathérine M“, sehr offen aus ihrem Geschlechtsleben. Dieser Teil
ihres Lebens umfasst sehr sehr viele geschlechtliche Kontakte zu Männern und
auch Frauen, sicher zu HUNDERTEN Männern; die Autorin hat deren Gesamtmenge
nicht gezählt, wie sie selbst bemerkt. - Die ungewöhnlichsten Details dieses
Geschlechtslebens sind sicher sogenannte Orgien mit „Männerüberschuss“, und zwar
Orgien, die die FRAU initiierte. Die Autorin initiierte (so schreibt sie
jedenfalls) mehrere sogenannte Gangbangs, französisch: „Partouzes“, deutsch „Sex
mit Männerüberschuss“. Will sagen: Eine Frau verkehrt unmittelbar nacheinander
mit mehr als einem Mann; die anderen Männer sind bei dieser Orgie mindestens zu
Teilen gleichzeitig anwesend. - Was für MICH das Auffallendste an dieser
Schilderung ist: Die Autorin betont, die Stimmung bei diesen „Veranstaltungen“
(man darf das „Veranstaltung“ nennen, denn die Autorin war ja auch die
Initiatorin dieser Partouzes) sei immer sehr friedlich, ja freundlich gewesen
und damit sehr anders als oft der Umgang innerhalb „regulärer“
Zweierbeziehungen, Ehen. (Der Verfasser empfindet diese Aussage Millets als
harte Ohrfeige für viele monogame Beziehungen, die sich selbst ja üblicherweise
als die SITTLICHEN Beziehungsformen ansehen.)
In welchem Alter die Autorin/Bekennerin so polygam lebte, wird aus dem Buch
Nummer I nicht recht klar. In Bekenntnisbuch II (2008/2010), das die Autorin als
sechzigjährige verfasste, behauptet sie, dass sie die dem Erscheinen dieses
zweiten Buchs voraufgegangenen zwanzig Jahre mit ihrem Ehemann Henric monogam
gelebt habe; demzufolge scheint sich ihr libertines Leben bis zu einem Alter von
40 Jahren erstreckt zu haben. WIE streng monogam oder ob doch noch ein wenig „libertin“
die Ehe- oder (ANGEBLICHE) Monogamie-Phase der Bekennerin war, ist MIR
jedenfalls NICHT klar geworden.
Vor dem Hintergrund dieser Bekenntnisse in Buch I ist nun Buch II recht pikant.
In Bekenntnisbuch II schildert die Autorin nämlich über zig Seiten hin ihre
Eifersuchtsqualen, nachdem sie eines Tages auf dem Schreibtisch ihres Ehemanns
Jacques Henric das Foto einer Frau mit einem kleinem Kind entdeckte. Es ist ihr
klar: Ihr Mann hat eine Liaison, und zwar eine mit einer spezifischen Folge,
einem KIND, etwas, das SIE ihrem Mann nicht und nie geboten hat.
Soweit ich meine Second-Hand-Texte zu dem Thema richtig verstehe, kann der
Ehemann Henric nicht nachempfinden, warum seine Ehefrau Cathérine etwas gegen
diese außereheliche Beziehung hat, schließlich lebte sie ja selbst – zumindest
zwei Jahrzehnte lang VOR der Eheschließung (aber vielleicht auch noch danach) –
alles andere als monogam. Und es wird auch nirgendwo berichtet, dass mit der
Eheschließung ein Vertrag über die Einhaltung einer ab jetzt ausschließlich
monogamen Lebensweise geschlossen worden wäre. Derlei passt auch nicht zur
„Lebensphilosophie“ dieses Paares….
Aus der Literatur über das zweite Buch und aus Interviews, die übers Internet
zugänglich sind, ist mir NICHT klar geworden, ob und wie der Ehemann sich zu dem
Eifersuchtsproblem seiner Frau stellte und ob er seine Außen-Beziehung beendete
oder nicht. In gewissem Sinn kann Henric diese Außenbeziehung ja auch nie
wirklich ERNSTHAFT beenden, weil er mit dieser anderen Frau ja immer durch das
GEMEINSAME KIND verbunden bleibt.
Bei der Beurteilung der Ehe Millet-Henric muss beachtet werden: Auch Ehemann und
Autor Jacques Henric war kein „Kind von Traurigkeit“. Aber er ist Jahrgang 1938
und damit zehn Jahre älter als seine Ehefrau Cathérine. Während die Ehefrau ihre
die Öffentlichkeit faszinierenden, teils auch schockierenden Bekenntnisse in
Buch Nummer 1 ablegte, veröffentlichte ihr Mann im Jahr 2004 einen Band mit
Nacktfotos der Ehefrau und mit poetischen Lobreden auf diese Ehefrau. (Eitelkeit
scheint mir ein Charakterzug BEIDER Eheleute zu sein). Während die beiden über
Eitelkeit im Übermaß verfügen, mangelt es im Gegenzug meines Empfindens BEIDEN
an STIL: So fotografiert Jacques Henric seine Frau nackt ausgerechnet am
südwestfranzösischen Grab des NS-Flüchtlings Walter Benjamin, der, weil ihm die
Flucht nach Spanien nicht gelang, kurz vor der Grenze sich selbst tötete. Man
kann sich vorstellen, dass dieser Band mit Fotos, die Henric von seiner Frau
Cathérine knipste, auf der Woge der Verkaufserfolge für „La vie sexuelle…“
mitschwimmen sollte. Aber Taktlosigkeit gegenüber einem Opfer der
nationalsozialistischen Verfolgung kann mit dem Argument „Verkaufserfolg“ NICHT
entschuldigt werden).
Das Eifersucht-Geständnis von C. Millet erscheint mir zwiespältig. Warum? – Ich
meine: Wenn jemand seinem Partner einen Untreue-Vorwurf NICHT machen darf, dann
diese promiske Autorin. Ähnlich empfinden wohl auch andere Kommentatoren von
Buch II diese Bekenntnisse; sie unterstellen, der Autorin gehe es gar nicht um
das Geständnis seltsamer Seelenzustände (“Qualen der Eifersucht“), sondern
darum, einen weiteren Buch-Verkaufserfolg zu lancieren.
Anmerkung am Rande: Die Schilderung von Orgien des Typus „Männerüberschuss“ sind
dem Verfasser dieser Zeilen aus nicht offen als pornographisch deklarierter
Literatur nur zweimal bekannt: aus einem Roman des Franzosen Pierre Bourgeade
(„Die Frau des Buchhändlers“) und aus den Erinnerungen des deutschen
Politikwissenschaftlers, Historikers und Schriftstellers Nicolaus Sombart,
„Pariser Lehrjahre -1951 – 1954“ (Erstveröffentlichung 1994). Um die
entsprechenden „Stellen“ bei Sombart zu finden, muss man wenn nicht das gesamte
Buch, so doch zumindest das umfangreiche Inhaltsverzeichnis sehr genau lesen und
den - nicht übersetzten - Ausdruck „Partouze“ übersetzen können. Der Klappentext
des Buches, der ja sonst gern das „Pikanteste“ eines Buchs hervorkehrt, geht auf
DIESEN Teil des - streckenweise philosophisch anspruchsvollen - Inhalts NICHT
ein. Man muss die entsprechende Passage „er-lesen“….
Ein Ehepaar wird von den Zeitläuften „beschädigt“.
Eine Tochter rügt den Vater – nach dessen Tod (2010).
Die aus Ulm stammende, 1959 geborene Fernseh-Moderatorin und Schriftstellerin
Amelie Fried hat im Jahr 2008 ein Buch über ihre Herkunftsfamilie
veröffentlicht: „Schuhhaus Pallas – Wie meine Familie sich gegen die Nazis
wehrte“. - Das Buch wurde ein Bestseller. Im Jahr 2010 ist eine erweiterte
Taschenbuchausgabe erschienen. - Das Buch bedarf keiner Erläuterungen; und: es
hat seinen Verkaufserfolg verdient.
MICH berührten in diesem Buch vor allem zwei „Neben-Geschichten“ – ich deute sie
in der Überschrift an.
Am Ende: eine „Mauer aus Schweigen“
Die Großeltern von Amelie Fried führten in Ulm seit 1914 ein gut gehendes
Schuhgeschäft.
Alles schien auf dem besten Weg….
….ja, so lange, …… bis Ulmer Nationalsozialisten von der Machtergreifung 1933 an
begannen, das Schuhgeschäft als das eines JUDEN zu diffamieren. Eigentümer Franz
Fried war zu diesem Zeitpunkt schon seit Jahrzehnten zum Christentum
konvertiert, er empfand sich wohl gar nicht mehr als Jude.
Die Diffamierungskampagnen von Ulmer Nazis hörten trotz juristischer Gegenwehr
des Ehepaars Fried nicht auf. Es half ihnen auch nicht, dass der Ehemann das
Geschäft seiner („arischen“) FRAU überschrieb und nur noch den Geschäftsführer
spielte: Die NS-Attacken gegen das „jüdische“ Schuhhaus dauerten an.
Als die Reichsregierung im Jahr 1938 daran ging, jüdische Firmen noch schärfer
und per Gesetz zu verdrängen, entschieden sich die Eheleute Fried zu dem
verzweifelten Schritt, sich scheiden zu lassen und den für solche
Eigentumsverhältnisse zuständigen NS-Stellen den Wegzug von Franz Fried aus Ulm
schriftlich zu versprechen. F. Fried war zu jenem Zeitpunkt aus nichtigem Anlass
in sogenannter „Schutzhaft“.
In ihren (erhalten gebliebenen) Briefen an zuständige Ulmer NS-Stellen bedauert
die frühere Ehefrau damals, mit einem Nicht-Arier verheiratet zu sein. Sie
verspricht: Der Name des Geschäfts solle geändert werden, auf den GEBURTSnamen
der Ehefrau, Hoffmann. Martha Fried schreibt auch: „dass die menschlich schlimme
Lage, in welche ich durch meine vor 35 Jahren erfolgte Heirat mit einem
christlichen Nichtarier (also nach damaliger Auffassung mit einem Christen)
gekommen bin, meine Gesundheit mehr und mehr untergräbt und bitte, mir und
meinen Kindern die Existenz zu belassen.“ (S. 64 der Taschenbuch-Ausgabe).
Die von der Ehefrau angebotene und bereits in die Wege geleitete Ehescheidung
beraubte den jüdisch-bürtigen Ehemann des - begrenzten - Schutzes, den
sogenannte Juden in Deutschland damals durch eine „arische“ Ehefrau erhielten.
Aber auch die Ehescheidung hilft der geschiedenen Martha Fried nur wenige Jahre
weiter. Die Firma wird nach wie vor von NS-Mitgliedern als „jüdisch“ bezeichnet
und dann mit einem - als Vorwand erkennbaren - Manöver 1943 zum Aufhören
gezwungen.
Fast alle jüdischen Ulmer verlieren im Dritten Reich ihre Existenz in
Deutschland; sie flüchten oder werden umgebracht. Die meisten Blutsverwandten
von Franz Fried werden vom NS-Staat umgebracht; einzelne versuchen, sich der
erwartbaren Deportation durch Selbsttötung zu entziehen. Wider alles Erwarten
gelingt es Franz Fried, nachdem ihm die Flucht aus Deutschland verunmöglicht
worden war, als fast einzigem der jüdischen Großfamilie Fried mit viel Glück,
enormem Durchhaltewillen, einer gesunden Konstitution und sicher auch mit großer
Findigkeit, der Ermordung durch den NS-Staat zu entgehen. Franz Fried kehrt nach
der Niederlage des Deutschen Reichs 1945 nach Ulm zurück, zu seiner geschiedenen
Frau, mit der er seit Jahren sehr wahrscheinlich keinerlei Kontakt mehr hatte.
Die beiden Geschiedenen leben, schreibt Enkelin Amelie, „bis zum Tode der
Großmutter 15 Jahre später wie ein Ehepaar, allerdings ohne noch einmal zu
heiraten.“
Der „Großvater eröffnet sein Schuhhaus neu und ist wieder ganz der joviale
Geschäftsbesitzer, den seine Kunden und Angestellten kennen.“ Auch als über
65jähriger reüssiert er mit seinem Laden erneut. Über seine Erlebnisse in KZ und
Arbeitslager schweigt er sich aus. Bereits im Spätsommer 1945 folgt er einem
Angebot von Ulmer Sportfreunden, den Vorsitz des großen Ulmer
Traditionssportvereins TSG zu übernehmen. Der Verein kann mit einem solchen
wegen jüdischer Herkunft verfolgten Vorsitzenden den US-amerikanischen Besatzern
„nachweisen“, dass der Verein nicht mehr NS-durchsetzt sei und unbedenklich von
den Besatzern zugelassen werden kann. Für Franz Fried bedeutet dieses
Vorsitzenden-Amt die Wiederaufnahme in die Ulmer Honoratioren-Gesellschaft, eine
Gruppe, die ihn Jahre zuvor mehrheitlich ausgeschlossen hatte.
JETZT kommt dieses Detail der Geschichte von Amelies Großeltern, das mich
besonders bewegt. Die Autorin erzählt: „Meine Großmutter betritt jetzt, da mein
Großvater wieder der Chef ist, das Geschäft nicht mehr. Sie geht überhaupt kaum
noch aus dem Haus… - Die Stimmung zwischen meinen Großeltern ist belastet. Die
Jahre des Überlebenskampfes, die folgenschwere Scheidung, die Schuldgefühle
meiner Großmutter, vielleicht die scheinbare Leichtigkeit, mit der mein
Großvater in sein altes Leben zurückkehrte, ohne dass jemals aufgearbeitet wird,
was zwischen den beiden steht – all das formt eine Mauer aus Schweigen, die
beide bis zu ihrem Ende nicht überwinden können. – Meine Mutter erzählte mir,
wie erschrocken sie als junge Ehefrau über die kühle Atmosphäre im Haus ihrer
Schwiegereltern gewesen sei.“
Die Zerstörung des Selbstwertgefühls durch jahrelange Diffamierungen alles
Jüdischen quälen, so Autorin Amelie Fried, auch ihre Tante Anneliese, die
einzige TOCHTER von Franz Fried und Schwester des zeitweilig als
Zeitungsherausgeber, Redakteur und Kunstsammler regional berühmt gewordenen Kurt
Fried. Anneliese wird bis zu ihrem Tod an jenen Diffamierungen des Judentums
leiden, die sie sich letztlich zu eigen gemacht hat; sie wird sich immer
schämen, die Tochter eines Nichtariers zu sein.
Eine Tochter rügt den Vater
Eigentlich nicht mehr die Geschichte der jüdisch versippten Familie Hoffmann /
Fried und ihrer Nachkömmlinge, sondern die Geschichte aller NS-Opfer, egal, ob
sie wegen ihrer „Rasse“ oder wegen ihrer Überzeugungen, ihres Lebensstils etc.
verfolgt waren, das ist die Geschichte der Beziehung der Tochter (und späteren
Autorin) Amelie Fried zu ihrem Vater Kurt Fried.
Die „Geschichte Vater Kurt / Tochter Amelie Fried“ wird dadurch gekennzeichnet,
dass der Vater - wie viele Deutsche nach 1945 (seien sie Opfer oder Täter
gewesen) - NICHT über die Zeit des Dritten Reichs, die Zeit früherer
Demütigungen, sprechen wollte und Fragen der Tochter Amelie an ihn aus Weg ging.
Die Tochter entwickelte als Jugendliche die Empfindung, der Vater habe ihr und
ihren beiden jüngeren beiden Brüder nie gesagt, „wer er wirklich war. Dass er
uns nichts erzählt hat über sein Unglück, uns keine Chance gegeben hat, ihn
besser zu verstehen, das habe ich ihm lange, auch nach seinem Tod, verübelt.
Erst viele Jahre später konnte ich ihm endlich verzeihen.“
(Ich, V. Feger, frage mich bei diesem pathetischen Satz „ich habe ihm
verziehen“: „Was hat der Entlastete davon, wenn er NACH seinem Ableben von
Vorwürfen entlastet wird, Vorwürfe, die ihm implizit oder explizit zu seinen
LEBzeiten gemacht wurden??“)
Amelie Fried zitiert in ihrem Buch ein Gedicht, das sie als 21jährige, im Juni
1980, acht Monate vor dem Tod ihres Vaters, verfasste: Darin heißt es u.a.
„Jetzt liegst du da. Wie ein geschlagener Feldherr, ein gestürzter Titan. /
Moderner Wissenschaft verdank ich die Erkenntnis, dass du Schuld daran hast,
dass ich mit meinem Leben nicht zurechtkomme… und jetzt verlässt du mich…Du hast
deinen Schrecken verloren, kannst mich nicht mehr treffen und weinen machen. Ich
zittre nicht mehr vor dem Donnerklang deiner Stimme, die das Weltende
hervorzurufen schien. / Du hast mich in diesem Leben ausgesetzt und dann
vergessen, so wie du immer nur Versprechen gabst, die du niemals einlöstest.
Dein ganzes Leben war ein nicht gehaltenes Versprechen… Dein Schatten verdunkelt
mein Leben. Du hast mich zum Krüppel gemacht und mich gezwungen, dir ähnlich zu
sein. Und jetzt verlässt du mich.“
Ich empfinde es als seltsam, wenn die Tochter ihren Hass gegen den Vater in eine
positive Empfindung zu einem Zeitpunkt umwandelt, zu dem ihr Vater (nach heute
landläufiger Vorstellung) davon nichts mehr merken kann, weil er TOT war und
ist. Amelie Fried erzählt, sie habe in einem Zustand von Hypnose „geträumt“, sie
finde ihren gerade gestorbenen Vater und schließe ihm die Augen. „Als ich aus
der Hypnose zurück war, wurde ich von einem Weinkrampf geschüttelt. Ich begriff,
dass ich etwas nachgeholt hatte, das mir in Wirklichkeit verwehrt geblieben war:
mich von meinem Vater zu verabschieden.“… „Nach all den Jahren, in denen ich
voller Groll und Bitterkeit an meinen Vater gedacht hatte, war ich endlich mit
ihm versöhnt. Mit ihm und seinem Schweigen.“ (S. 145f). – Ich wiederhole mich:
Ich empfinde es als seltsam, wenn Versöhnung als Angelegenheit nur EINES von
zweien angesehen wird und nicht erst dann als gültig, wenn sie auch von der
anderen Person einer Schicksals-Zweiheit AKZEPTIERT ist.
Dass es in dieser Familie neben der Auskunftverweigerung seitens des Vaters noch
mehr verschwiegene Probleme gab, das folgere ich daraus, dass Amelie Fried sich
an viele Personen um Rat und Auskunft über die Geschichte ihrer Großeltern
wandte, dass aber die ERSTE Ehefrau ihres Vaters Kurt Frieds und dessen erstes
Kind, geboren 1946, in dem Pallas-Buch grade mal knapp erwähnt werden - und
FERTIG……..
Eine Geliebte wird abgehalftert ,…wird wahnsinnig…. und später wohl ermordet
Die folgende Auswahl an Personen und Schicksalen sieht sehr Oberschicht-bezogen
aus. - Sie ist es auch. Ein Grund für unsere Kenntnis dieses „Schicksals“ ist
sicher folgender: Lebensläufe von PROMINENTEN werden häufiger erforscht als
Lebensläufe von Nicht-Promis. Von diesem gesteigerten Interesse am Leben
Prominenter lebt ja eine ganze Medien-Industrie.
Elsa Asenijew (1867 – 1941) war eine zu ihrer Zeit in Deutschland bekannte
Schriftstellerin; zudem war sie lange Jahre die Gefährtin des im deutschen
Kaiserreich berühmten Bildhauers und Malers Max Klinger. Sie zählt zu jenen
Frauen, die um die Wende zum 20. Jahrhundert die beginnende Frauenemanzipation
KRITISIERTEN, weil diese Bewegung den Frauen als Ziel vorgebe, sie sollten den
Männern (vor allem über Studium, Beruf, Politische Tätigkeit etc.) ähnlich
werden.
Elsa Maria von Packeny, so ihr Geburtsname, stammt aus einer großbürgerlichen
Familie in Wien. Sie heiratet mit 23 Jahren einen bulgarischen Diplomaten. Sie
bringt einen Sohn zur Welt, der noch als Kind stirbt. Diese Ehe wird im Jahr
1896 geschieden. Es folgen einige Jahre Studium an der Universität Leipzig
(damals für eine Frau sehr ungewöhnlich). - Als einunddreißigjährige, 1898,
verliebt sich Elsa Maria von Packeny in den zehn Jahre älteren, damals bereits
berühmten Künstler Max Klinger und umwirbt ihn. Schon vor der Beziehung zu
Klinger und dann auch während dieser Beziehung veröffentlicht Asenijew
Belletristisches. Sie verfasst später auch eine kluge Studie über den Künstler
Klinger und sie verfasst als „erotisch“ eingestufte Gedichte über diese ihre
Beziehung. - 1900 bringt sie in Paris eine Tochter zur Welt, Desirée genannt.
Elsa übergibt diese Tochter sogleich einer Pflegefamilie. – Die Beziehung
Klinger - Asenjeff und die Geburt einer Tochter werden von beiden Partnern
geheimgehalten. (Der Grund dafür ist mir durch meine bisherige Lektüre nicht
erkennbar geworden, vermutlich handelt sich aber um das, was man damals
„Standesrücksichten“ nannte.)
Max Klinger besitzt in Großjena einen Weinberg. Er hält sich öfters dort auf,
auch mit Elsa. Um 1910 lernt er dort eine Frau kennen, die 26 Jahre jünger ist:
Gertrud Bock. Gertrud wird sein Modell und dann seine Geliebte. Einige Quellen
behaupten: Elsa sei sehr eifersüchtig gewesen und ihr Verhalten sei eine
Zumutung gewesen für den armen Herrn Klinger. Einige Biographen zeigen großes
Verständnis für Klingers Interesse an einer massiv jüngeren Frau. - 1914
veröffentlicht Asenijeff einen Gedichtband mit dem Titel „Hohelied an den
Ungenannten“; es sind Liebesgedichte über und für den nach wie vor von ihr
heftig geliebten Max Klinger.
1916 trennen sich Asenijeff und Klinger für immer. - Wer von beiden die Trennung
anstrebt, kann ich aufgrund des mir vorliegenden Materials nicht erkennen.
Klinger heiratet „die Neue“ 1919. Er stirbt bereits ein Jahr später und vermacht
fast seinen gesamten Besitz seiner zweiten Ehefrau Gertrud. Elsa Asenijeff
verarmt und wird in psychiatrische Anstalten eingewiesen. Dort lebt sie – soweit
mir erkennbar – etwa zwei Jahrzehnte. - Über diesen Lebensabschnitt scheinen die
bisherigen Biographen wenig oder nichts zu wissen. Es wird vermutet, Asenjeff
sei im Rahmen der Nazi-Aktion „T 4“, der Ermordung von Psychiatrie-Insassen,
umgebracht worden.
Joachim Kuhn - gegen Hitler im Widerständler, in der Sowjetunion verfolgt
(entnommen einem Zeitungsbericht in der Südwestpresse vom 20. Juli 2009: „Der
vergessene Held – Der Widerstand des Majors Kuhn gegen Hitler und Stalin“)
Wehrmachtsoffizier Joachim Kuhn besorgt auf Bitten seines Freundes Klaus von
Stauffenberg für das Attentat am 20. Juli 1944 den Sprengstoff. Eine Woche NACH
dem Misslingen des Attentats wird die Mittäterschaft Joachim Kuhns den
NS-Ermittlern offenkundig. Kuhn erhält aus Berlin den Befehl, sich in die
Reichshauptstadt zu begeben; was das bedeutet, ist ihm klar. Sein militärischer
Vorgesetzter bietet ihm an, sich umzubringen oder den Tod „an der Front“ zu
suchen. - Kuhn lässt sich an die Ostfront bei Bialystok fahren, versucht dann
aber, statt im Kampf zu sterben, sich nach Skandinavien durchzuschlagen. Er wird
von Russen gefangengenommen.
Kuhn hofft, bei den sowjetischen Behörden mit seiner Attentäterschaft zu
punkten, aber die Russen haben vom US-Außenministerium im Mai des Jahres 1944
erfahren, dass die Verschwörer nach der Ermordung Hitlers einen Separatfrieden
mit den Westmächten schließen und mit den WEST-Alliierten gegen die Sowjetunion
weiterkämpfen wollen.
Kuhn verweigert die Mitarbeit im „Nationalen Komitee Freies Deutschland“. - Er
wird jahrelang inhaftiert und gefoltert, 1951 wird er zu 25 Jahren Haft im Lager
verurteilt, „wegen Vorbereitung eines Angriffskriegs gegen die Sowjetunion“.
Kuhn dreht durch, er wird wahnsinnig. 1956 schicken die Sowjets ihn nach
Deutschland zurück. In Berlin kümmern sich die Eltern um diesen ihren einzigen
und jetzt kranken Sohn, so lang sie können.
Gesuche von Kuhn auf Entschädigung werden von den zuständigen Behörden
abgelehnt.
Nach dem Tod der Eltern 1976 lebt Kuhn bis zu seinem Tod noch 18 Jahre in einem
winzigen Zimmer in einer Pension in Bad Bocklet und nach zwei Gehirnschlägen in
einem Pflegeheim. Er hat bei seinem Tod keine Verwandten.
Veit Feger
eMail: Veit.Feger@t-online.de
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