Angst vor der Französischen Revolution beendet bald wieder eine kurze Phase obrigkeitlicher Großzügigkeit

Kaspar Ruef, ein katholischer Aufklärer des 18. Jahrhunderts aus Ehingen

Dass aus Ehingen ein Kritiker der katholischen Kirche stammt, erstaunt gewiss... Aber es ist so. Es gab mal so was. Die Rede ist von Caspar Ruef, geboren 1748 in Ehingen, gestorben 1825 in der Universitätsstadt Freiburg, in der er die meiste Zeit seines Lebens berufstätig war.

Die Jahre, in denen sich Ruef mit seinen kirchenkritischen Ansichten mittels Gedrucktem an die deutschen Bürger wandte, dauerten grad mal ein Jahrzehnt, im wesentlichen die Achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts.

Eine damals unter Gebildeten anzutreffende Einstellung, die Ruef zu seinen Kritiken an der offiziellen katholischen Kirche und am sogenannten Köhlerglauben ermunterte, diese Einstellung war auch ein Faktor in der Entstehung der „Französischen Revolution“ von 1789 und den Folgejahren. Das Erschrecken der Mächtigen außerhalb Frankreichs über die Gefahren, die nach einer Revolution auch ihnen drohten, war für einen von ihnen ein Grund, diesem Ruef sein „freches Maul“ zu verbieten.

 

Vorsichtige, eigentlich reformerisch gesinnte Kritik an der katholischen Kirche war in dieser Kirche kaum je oder nie erwünscht, und so trug nicht nur der Rüffel Ruefs durch den habsburgischen Kaiser Leopold in Wien, zugleich sein Landesherrn und Arbeitgeber in Freiburg im Breisgau, sondern auch die üblicherweise antikritische Haltung seiner Mutterkirche dazu bei, dass Ruef im 19. und 20. Jahrhundert ziemlich vergessen wurde. Die Erinnerung an Ruef unterlag dem selben, ja noch verschärften, „Schicksal“ wie etwa die Erinerung an den einst einflussreichsten katholischen, aufklärend gesonnenen kirchlichen Amtsträger Ignaz von Wessenberg, Konstanzer Bistumsverweser. Seinen Namen wagten katholische Kirchenhistoriker im 19. und noch im beginnenden 20. Jahrhundert nur unter Einsatz teufelsverjagenden Weihwassers auszusprechen oder niederzuschreiben.

Der Ehinger Stadtgeschichte-Verfasser Pfarrer Franz Michael Weber scheint Ruef nicht zu kennen, jedenfalls erwähnt er ihn nicht. Auch sonst geschah zur Erinnerung an diesen Mann in Ehingen nichts, außer mal ein mehrere Zeitungsseiten umfassender Text von Veit Feger in der Ehinger Ausgabe der Schwäbischen Zeitung, erschienen am 13. Januar1992 (jetzt auch zugänglich im Internet unter http://veit-feger.homepage.t-online.de/ruef.htm. Die Internet-Enzyklopädia Wikipedia stützt sich für ihren Text über Ruef nur auf Veröffentlichungen, deren aktuellste aus dem Jahr 1907 ! stammt.

Während die Ideen der französischen Aufklärung und Revolution in Europa nicht mehr zum Vergessen gebracht wurden, blieb viel von dem, was katholische Aufklärer wie Ruef oder Wessenberg forderten, „unterm Teppich“ bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil.

 

Johann Kaspar Adam Ruef wurde am 6. Januar 1748 in Ehingen geboren. Seine Eltern waren Maria Elisabetha Mayer, Tochter eines Ehinger Bürgers, und Johann Baptist Ruef, Kanzlist bei der Reichsritterschaft des „Kantons Donau“ mit Sitz im „Ritterhaus“, dem heutigen Landratsamtsaußenstellengebäude.

Der junge Caspar besuchte das von den Zwiefalter Benediktinern in Ehingen unterhaltene Gymnasium. An seinem damaligen Schulunterricht kritisierte Ruef als Erwachsener, er habe in jener Schule von Luther und Luthertum nicht „einmal die Namen, geschweige deren Wesen“ erfahren. Über seine Ehinger Lehrer schreibt Ruef später: „Mönche waren meine Lehrer und Erzieher und füllten mir den Kopf mit Andächteleien, Legenden und nichtswürdigen Possen…. Sie meinten es gut, … (aber) sei waren nie zum Selbstdenken angeleitet“ worden. Er selbst habe erst dreißig Jahre alt werden müssen, um zu einem „vernunftgemäßen Christentum“ zu finden, und viel an diesen Fortschritten verdanke er „einzig und allein den Protestanten“.

 

Kritik am Katholizismus unter KATHOLIKEN erklang in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zum ersten Mal wieder seit der Reformation etwas lauter. Ruef war in Freiburg nicht allein: Zu seinen Freunden und Unterstützern, auch Mitstreitern gehörten Kaspars Freund Matthias Dannenmayer aus Öpfingen, später, noch unter Kaiser Joseph II Professor der katholischen Theologie, und der aus Riedlingen stammende Freiburger Universitätslehrer Anton Sauter. Noch eine Parallele: In jener Zeit, in der Ruef sich an der katholischen Kirche öffentlich rieb, verfasste ein Bediensteter des Grafen Stadion auf Schloss Warthausen (und möglicherweise dessen Sohn) eine scharfe Kritik des Mönchstums seiner Zeit.

Kaspar studierte an der vorderösterreichischen Universität Freiburg (die über lange Zeit einen Teil ihrer Einkünfte aus dem Raum Ehingen bezog, wo sie Güter besaß). In Freiburg erwarb Ruef (manchmal auch „Rueff“) Studienabschlüsse in Theologie und Rechtswissenschaften. Ein Jahr hielt er sich dann in der damaligen Reichshauptstadt Wien auf, um sich in Regierungspläne einer habsburgweiten Unterrichtsreform einzuarbeiten. Ab 1775 war er Lehrer der beiden oberen Klassen des Freiburger Gymnasiums und erhielt endlich ein knappes, aber festes Gehalt. Insgesamt gab es an diesem Gymnasium damals grade mal fünf ! besoldete Lehrer. Als solcher konnte er nun endlich heiraten: 1776 ehelichte er Theresia Kupferschmid, die Tochter des Freiburger Stadtschultheißen. Ab 1780 erhielt er die Stelle des zweiten (!) festangestellten Universitätsbibliothekars. Ein erster Konflikt mit offiziellen Stellen wird uns aus dem Jahr dem selben Jahr 1780 berichtet; Ruef kritisierte die Schulbehörde, intern. Die Kündigung drohte, Ruef trat die Flucht nach vorn an und drohte, er werde seine Kritik am Schulwesen ÖFFENTLICH machen, er berief sich dabei auf ein drei Monate zuvor erlassenes Pressfreiheits-Gesetz Josephs II… Ruef durfte seine Stelle behalten.

1782 begründete Ruef die Zeitschrift, „Der Freymüthige – eine Monatsschrift von einer Gesellschaft zu Freyburg im Breisgau, Ulm und Freyburg, bei Johann Conrad Wohler“ (der Verleger). Das Eigenschaftswort im Titel, „freimütig“, war damals in Deutschland recht beliebt: Im selben Jahr, in dem Ruefs erste Ausgabe seines „Freymüthigen“ erschien, veröffentlichte der aus Biberach stammende Schriftsteller, Dichter, Zeitschriftenherausgeber Christoph Martin Wieland „Freymüthige Gespräche über einige neueste Weltbegebenheiten“.

Neben Kritik an dem sehr traditionalen Christentum seiner Zeit, am ausgiebigen Wunderglauben vieler Menschen, an einer nur äußerlich gelebten Religion enthielt die neue Ruefsche Zeitschrift auch Regierungserlasse aus dem Kultusbereich; man könnte den „Freymüthigen“ als eine Art „Gesetzblatt auf privater Basis“ bezeichnen, zumal staatliche Behörden bei der Veröffentlichung ihrer neuen oder geänderten Gesetze nicht sonderlich rasch funktionierten.

Bereits die erste Zeitschriften-Ausgabe enthielt u.a. eine Kritik am katholischen Verbot der Priesterehe (bekanntlich im Katholizismus bis heute ein Thema, bei dem sich Modernisten gegen Traditionalisten bisher nicht durchsetzten).

Die Ruefsche Zeitschrift erschien sechs Jahre lang, brachte es aber wohl nie auf eine rentierliche Abonnentenzahl. Sie erhielt aber herzlichen Beifall gleich im ersten Jahr ihres Erscheinens vom Kaiser in Wien höchstselbst und dann auch aus dem PROTESTANTISCHEN Deutschland…. – Wichtig zu wissen: 1782, im Jahr der Zeitschriftengründung, beginnt auch der josephinische Klostersturm, dem beispielsweise Frauenklöster in Ehingen und Munderkingen zum Opfer fielen.

 

Ein Zitat aus einer der berühmtesten (protestantischen) Zeitschriften des damaligen Deutschland, der „Allgemeinen Deutschen Bibliothek“, herausgegeben von dem Aufklärer Nicolai in Berlin, lautet: „Keiner der neuern katholischen Reformatoren stellt die Gebrechen des politischen, dogmatischen und moralischen Systems seiner Kirche mit größerer Klarheit und wärmerer Eindringlichkeit dar als der Verfasser (Herausgeber) des 'Freymüthigen‘ und der 'Freyburger Beiträge'.“ Es schrieben dort: „Männer von großen Einsichten in der Pädagogik, von wahrer Gelehrsamkeit, von tiefdringendem Blicke und vortrefflicher Freimüthigkeit“. - Die „Göttingischen gelehrten Anzeigen“, ein europaweit berühmte wissenschaftliche Zeitschrift, rühmt 1783: „Die wichtigsten Gegenstände der kaiserlichen Reformationsgesetze werden hier untersucht zur Belehrung derer, welche solche Veränderungen wohl noch anstößig finden. Es geschieht aber mit einer rühmlichen Bescheidenheit und Gründlichkeit. Überall wird aus der Historie Licht verschafft.“

Die „Erlanger gelehrten Anmerkungen und Nachrichten“ vermerken 1782: „Man findet hier gleichsam ein Archiv, zu dem man seine Zuflucht nehmen kann, wenn man sich von den menschenfreundlichen Unternehmungen Josephs II zuverlässig und genau unterrichten will. Die Abhandlungen dienen ... zur Verbreitung gemeinnütziger, von dem großen Haufen verkannter, aber doch nicht genug beherzigter Wahrheiten und zur Tilgung schädlicher Vorurtheile.“ Die Abhandlung des „Freymüthigen“ über die neue Pressefreiheits-Verordnung des Kaisers wird von diesen „Erlanger Gelehrten“ als „der beste Commentar“ dazu gepriesen. - Professor Schlözers „Göttingischer Staatsanzeiger“ schreibt vollmundig, der „Freymüthige“ sei „nach jetzigen Zeitläufen allein eine Universität werth“.

 

An die Stelle des „Freymüthigen“ treten nach 1787 für einige Jahre, bis zum Verbot 1793, die „Freyburger Beiträge zur Beförderung des älteren Christenthums und der neuesten Philosophie“. Als Ziel setzt sich diese Zeitschrift „die Rettung des Rechts der eigenen Untersuchung, Vertheidigung des biblischen Christenthums und Bestreitung des Unglaubens sowohl als des Aberglaubens, des Köhlerglaubens und der Schwärmerei, Erweckung des wahren christlichen Geistes der Duldung, der Eintracht unter den Christen“.

Zur Erläuterung dieses Programms so viel: Das „biblische“ oder „ältere“ Christentum ist eines, das auf die drei ersten Evangelien zurückführt (oder zurückführen soll). Mit einer Berufung auf die drei ersten Evangelien wird vieles vom damaligen (und auch heutigen) Katholizismus hinfällig, organisatorische und theologische Entwicklungen, die unter dem Einfluss des Griechentums, aber auch anderer Völker, die von Christen missioniert wurden, etwa Kelten und Germanen, entstanden; des Weiteren entfällt die Entwicklung einer kirchlichen Hierarchie.

Ein Ziel der aufs katholische Bildungsbürger berechneten Zeitschrift war auch, wie erwähnt, ein „Geist der Duldung und Eintracht unter den Christen“: Das bedeutete die Wiedervereinigung der getrennten Konfessionen, ein Anliegen, das auch heute, zweihundert Jahre später, noch nicht verwirklicht ist. Immerhin ist EIN Wunsch Ruefs inzwischen Wirklichkeit: Die zu seiner Zeit noch übliche Verketzerung anderer christlicher Konfessionen findet heute, gut zweihundert Jahre später, nicht mehr statt.

Zu den Anliegen Ruefs gehörte unter anderem, dass der Papst nicht mehr (wie damals der Fall) zugleich ein POLITISCHER Herrscher ist; zu Ruefs Anliegen zählt auch ein weniger aufwendiger Gottesdienst, mehr „tätiges Christentum“ statt Rituale, volksnähere Gottesdienste durch eine verstehbare Sprache, also in Deutsch statt in Latein, Kritik an den sogenannten Betrachtenden Orden, Kritik an den sogenannten Beichtspiegeln mit ihren bis fast zur Gegenwart üblichen Beschwörung aller möglicher Sünden im Sexualbereich, ein Ende der kirchlichen Gängelung des Denkens, Vorwiegen der Vernunft im religiösen Erkennen, Kritik an sogenannten Privat-Offenbarungen; Ruef argumentiert hier recht modern: Nicht der Teufel spreche aus einem Besessenen, sondern dessen (selbsterzeugte) Phantasien.

Erstaunlich ist, dass Ruef als Herausgeber und Redakteur seiner Zeitschrift auch Kritiker seines Anliegens zu Wort kommen lässt.

 

Als die europäischen Potentaten über die anti-monarchische Tendenz der französischen Revolution in einen tiefen Schreck geraten und ihre bisherige Reformfreude runterfahren, muss Ruef für seinen Freimut büßen. Seine Stelle als Lehrer wird ihm genommen, er wird durch einen Benediktiner ersetzt; auch seine Stelle als Universitätsbibliothekar wird ihm für einige Zeit genommen. Die vorderösterreichische Provinz-Regierung begründet die Entlassung so: „Seine Majestät (gemeint: Kaiser Leopold, der Nachfolger Josephs II) haben zu entschließen geruht, dass ... Ruef wegen der ... geäußerten schädlichen Grundsätze von der Stelle eines öffentlichen Bibliothekars entfernt werden solle, weil er in dieser Eigenschaft viele Gelegenheit habe, mit der studierenden Jugend eine vertrauliche Bekanntschaft zu unterhalten, ihr gefährliche Bücher und schädliche Lehren beizubringen und da im Stillen mehr Schaden zu tun...“ - Es wird Ruef jedwede Zeitschriften-Herausgebertätigkeit „bei Vermeidung der schärfesten Bestrafung“ untersagt.

 

Im Februar 1793 begann Ruef ein anderes, wohl nicht mehr kritisches Publikationsprojekt, eine Zeitung mit wöchentlichem Erscheinen, für den regionalen Freiburger Leser-Markt gedacht, das „Freiburger Wochenblatt historisch-moralisch-politischen Inhalts“. Diese periodische Publikation, die auch Texte unterhaltender Art, etwa Erzählungen, enthielt, brachte es nur auf 26 Nummern und auf eine Erscheinungsdauer von einem halben Jahr.

1793 starb die erste Frau Ruefs; im Spätjahr 1794 ehelichte er Maria Antonia Maier, eine Tochter des Riedlinger Stadtarztes Dr. Maier (auch Riedlingen gehörte damals zu Vorderösterreich). Insgesamt zehnmal wurde Ruef Vater, aber neun seiner Kinder starben früh; nur ein einziges Kind überlebte ihn, Hermann Sigmund, später Oberamtsarzt in dem (einst ebenfalls vorderösterreichischen) Waldsee.

Frankreich entfernte sich von seinem wilden Revolutionarismus Richtung „Directoire“ und „Napoleon“. Das mag sich auch auf „Habsburg“ so ausgewirkt haben, dass Ruef nach mehreren Jahren, 1797, wieder eine öffentliche Anstellung erhielt, als Professor des Römischen Zivilrechts, sechs Jahre später auch die Berufung in ein höheres Gericht in Freiburg. Als siebzigjähriger, nun schon unter badischer Herrschaft, erhielt Ruef den Lehrstuhl für Kirchen- und Kriminalrecht, den bisher sein aus Riedlingen stammender Freund Sauter eingenommen hatte.

 

Wichtigste Quelle: Heinrich Amann, Freund und Nachfolger Ruefs auf dessen Freiburger Uni-Lehrstuhl, Großherzoglich Badischer Hofrath: „Zur Erinnerung an Dr. Kaspar Ruef, ….mit Auszügen aus seinen Schriften“, Freiburg, Heidelberg, Karlsruhe, 1836.

Karl Leopold Hitzfeld, „Johann Kaspar Ruef, der führende Aufklärer zu Freiburg i. Br.“, Herder, 1929

 

Veit Feger, Ehingen, Oktober 2012

 

 

Erinnerung an einen aus Ehingen stammenden, in Ehingen vergessenen bedeutenden Aufklärer, Kaspar  Ruef

(Januar 1992)

EHINGEN (vf) Aus Ehingen stammen einige - auch in historischem Abstand - nicht uninteressante Leute, die heute in Ehingen vergessen sind. Auf einen von ihnen, Kaspar Ruef, und beiläufig auf seinen aus Öpfingen stammenden Freund Dannenmayer soll hier aufmerksam gemacht werden. Beide spielten in der sogenannten katholischen Aufklärung Deutschlands eine  Rolle. Nach der Niederlage der Französischen Revolution und auch nach der Niederlage ihrer Religionskritiker wurden in Deutschland Texte der Aufklärung  benachteiligt. Das kann ein Grund sein, warum ein Mann, der einst unter Gebildeten deutschlandweit bekannt war, heute selbst in seiner Herkunftsstadt Ehingen vergessen ist. Im Zuge des liberaleren „Klimas“ in der Bundesrepublik nach dem Dritten Reich gab es auch wieder eine verstärkte Befassung mit der deutschen Aufklärung, ein „Klima“, von dem auch dieser Beitrag profitiert

Unser Aufsatz, der vor allem an Ruef erinnern soll, ist verbesserungsfähig; es schien dem Verfasser aber angebracht, wenigstens einiges von dem, was er während einer Reihe von Jahren in seiner sehr knappen Freizeit unsystematisch zusammengetragen hat, nicht bloß unter Aktenbergen vergammeln zu lassen, sondern zu veröffentlichen, zumal sich sonst in Ehingen niemand mit dem Thema befasst hat. Ein anderer mag gern erweitern und vertiefen.

(Dieser Text, der Anfang der 90er Jahre in der Ehinger Schwäbischen Zeitung erschien, wurde zwanzig Jahre später eingescannt und erneut redigiert).

Der Lehrstuhl-Nachfolger war der erste und einzige Biograph

Für die Angaben über das Leben von Kaspar Ruef wird hier vor allem ein 145-seitiges Buch verwendet, das der Freund und Nachfolger Ruefs auf dessen Freiburger Uni-Lehrstuhl, Heinrich Amann, verfasste; Amann war „Großherzoglich Badischer Hofrath, ordentlicher öffentlicher Professor des römischen Civil- und des Kirchenrechts zu Freiburg“ (Der vollständige Titel des Buchs über Ruef lautet: „Zur Erinnerung an Dr. Kaspar Ruef, weiland ordentlicher öffentlicher Professor des Kirchen- und Criminalrechts, Geheimen Hofrath und Oberbibliothekar zu Freiburg, mit Auszügen aus seinen Schriften“, Freiburg, Heidelberg, Karlsruhe, 1836).

Diese Veröffentlichung ging aus der „Leichenrede“ hervor, die Amann nach dem Tod Ruefs an der Universität zu halten hatte. Weiter stützen wir uns hier vor allem auf eine Positives wie Mängel klug abwägende Darstellung der theoretischen Aussagen Ruefs von dem Freiburger Karl Leopold Flitzfeld (Sie ist an etwas abseitigem Ort erschienen, in der „Zeitschrift des Freiburger Geschichtsvereins,“ 1929)

Wie sehr sich seit Ruefs Veröffentlichungen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis zu Amanns Nachruf auf ihn das „Blatt“ in Deutschland gewendet hat, zeigt sich schon an der ausführlichen Rechtfertigung, die Amann seinen Erinnerungen an einen Mann vorausstellt, der sich „unter Deutschlands Gelehrten einen ruhmvollen Platz erwarb“. Recht ungenau spricht Amann von jenen, gegen die er sich als Lobredner Ruefs wehren muss, und von den „neuesten Anstrengungen für die Rückkehr les alten Dunkels in unsere Religions-Gesellschaft“ (gemeint sind damit wohl vor allem katholische Theologen der Romantik).

 

Der Vater war Kanzlist im Ehinger Ritterhaus 

Im Folgenden einige Angaben zum Leben und zu den Publikationen Ruefs, nach Angaben Amanns und anderer Quellen. „Johann Kaspar Adam Ruef wurde geboren zu Ehingen an der Donau 1748, am 6. Jänner. Seine Eltern waren Johann Baptist Ruef, Kanzlist bei der Reichsritterschaft“ (die im späteren Landratsamtsgebäude ihren Sitz hatte) „und Maria Elisabetha Mayer, eines dortigen Bürgers Tochter.“ Der kleine Kaspar besuchte das Gymnasium, das damals von den Zwiefalter Benediktinern in Ehingen unterhalten wurde; er errang mehrfach Preise.

 

Lebensgeschichtlicher Hintergrund für die Kritik am Mönchstum 

Der junge Ruef wurde herkömmlich katholisch erzogen und beschult; als er später feststellte, was ihm bei dieser Form des Schulunterrichts vorenthalten worden war (um ihm Glaubenszweifel zu ersparen, etc. etc.), wurde sein  Unbehagen an der katholischen Kirche und der damals in ihr geläufigen geistigen Unfreiheit geweckt, ein Unbehagen, das ihn lebenslang bewegte und auch für seine künftige Tätigkeit als gemäßigt kirchenkritischer Publizist bestimmend wurde. In einer der wenigen erhaltenen Tagebuch-Notizen erinnert sich der Erwachsene, dass er bereits „in die lateinische Schule ging, aber von Luther und Luthertum nicht einmal die Namen, geschweige ihr Wesen kannte“ und dass seine Tante auf die Nachfrage, was denn „Lutherische“ seien, antwortete: „Es sind Leute, die einen ganz anderen Glauben haben als wir; es sind Ketzer, die nicht in den Himmel kommen.“ (Diese Verdammung von Angehörigen der jeweils anderen Groß-Konfession war damals und noch lange danach in katholischen - und protestantischen - Gegenden geläufig und sie mag mit ein Grund für das Unbehagen Ruefs an seiner Kirche gewesen sein).

 

Tagebuch mit Erinnerungen ans Ehinger Mönchs-Gymnasium

Es war eine Ordensschule, die Ruef in Ehingen besuchte; Ordensmitglieder bildeten später, für den Erwachsenen Ruef, den Inbegriff der ihm unsympathischen Mitglieder der katholischen Kirche. Über seinen Schulunterricht schreibt der Erwachsene in einer von ihm herausgegebenen Zeitschrift: „Mönche waren meine Lehrer und Erzieher und füllten mir Kopf mit Andächteleien, Legenden und nichtswürdigen Possen… Sie meinten es gut,… (aber) sie waren nie zum Selbstdenken angeleitet, vielmehr an blinde Befolgung der ungereimtesten Befehle gewöhnt worden; wie hätten sie einen Denker aus mir bilden können?“ (Amann, S. 7). Nur langsam habe er später den Mut gefasst, ein „ketzerisches Buch“ zu lesen; er sei „wohl 30 Jahre alt“ geworden, ehe er sich „von den Vorurtheilen“ seiner Jugend „ganz losgemacht hatte und in einem vernunftmäßigen Christenthum endlich Beruhigung fand. Es würde unedler, undankbarer Stolz seyn, wenn ich es läugnen wollte, dass ich meine bessere Einsicht, vornehmlich in der Religion, einzig und allein den Protestanten verdanke.“

Bei der vorstehend zitierten, individual-geschichtlich begründeten Kritik Ruefs am Mönchstum muss  angemerkt werden, dass es wohl nicht nur lebensgeschichtliche Umstände waren, die Ruef zu seiner Kritik veranlassten; Kritik am Mönchstums war zu seinen Lebzeiten fast eine Mode unter Intellektuellen; einer der damals besonders publiken deutschen Kritiker mönchischer Lebensform lebte längere Zeit als Graf Stadionscher Bediensteter im Schloss Warthausen. Es gab fast keinen Gräuel, den Intellektuelle damals den Mönchen in die Schuhe schoben;  man gewinnt den Eindruck eines generellen Vorurteils, ähnlich dem Vorurteil, das von Juden nur Schlimmes erwartet. Insofern sagt jene Mönchs-Hetze vielleicht mehr aus über die Kritiker als über das Mönchstum selbst.

Der junge Kaspar zog nach Freiburg zum Studieren. Das war naheliegend: Freiburg (als vorderösterreichische Stadt) hatte eine katholische Universität und war mit Ehingen, im Vergleich zu der zwar geographisch näheren katholischen  Uni Dillingen und zum näheren protestantischen Tübingen, auf zweifache Art verbunden: Ehingen  gehörte ebenfalls zu Vorderösterreich, und die Freiburger  Universität finanzierte sich sogar zu einem kräftigen Teil aus Einnahmen der Ehinger katholischen Kirchengemeinde St. Blasius (Die Universität Freiburg hatte deshalb auch während mehrerer Jahrhundert, bis zum Ende Vorderösterreichs, Einfluss darauf, wer in Ehingen Stadtpfarrer wurde).

In Freiburg studierte Ruef acht Jahre lang, Theologie, Rechtswissenschaft, Literatur. Das Studium finanzierte er teils durch ein Stipendium, teils durch Nachhilfe-Erteilen („philosophische Repetitoria“), teils als Hauslehrer mit kostenfreier Wohnung und Verköstigung. Während des Studiums befreundete er sich mit dem Riedlinger Anton Sauter und dem Öpfinger Matthias Dannenmayer; beide wurden später wie Ruef als „progressive“ Katholiken deutschlandweit berühmt; Dannenmayer verfasste die fürs ganze große Habsburgerreich während etwa zwei Jahrzehnten an den katholischen Fakultäten verbindliche Kirchengeschichte-Darstellung.

Für die zunehmend freiere Geistesrichtung Ruefs spielten nach Ansicht seines Biographen Amann der aus Villingen stammende, unter Maria Theresia einflussreiche Freiburger Professor Paul Josef von Riegger und später dessen  Sohn, der Kirchenrechtler Josef Anton von Riegger, eine große Rolle.

Mit 19 Jahren bereits erreichte Kaspar Ruef den ersten akademischen Grad, in Theologie; 1774 erreichte  Kaspar Ruef auch den Titel eines „Magister artium liberalium et philosophae“,  was etwa unserem Diplom oder einer Promotion entspricht.

Seinen ersten „Job“ fand Ruef  auf Vorschlag des Freiburger Gymnasiums: Er sollte nach Wien gehen und sich dort über geplante, habsburgweit gültige Unterrichtsvorschriften kundig machen. Während seines etwa einjährigen Aufenthalts in Wien konnte er bei Paul J. von Riegger wohnen; er arbeitete bei ihm als Korrektor und studierte nebenher  Altgriechisch, das er später auch unterrichtete. - Nach der Rückkehr nach Freiburg  erhielt er Ende 1775 die Stelle eines Lehrers der beiden oberen Klassen am dortigen  Gymnasium. Mit diesem knappen, aber festen Gehalt konnte der 27-jährigen wagen, zu heiraten und einen Hausstand zu gründen: Bereits im Januar 1776 ehelichte er eine Tochter des Freiburger Stadtschultheißen, Theresia Kupferschmied (Man darf annehmen, dass die Beziehung bereits länger bestand, aber nicht offiziell-ehelich eingegangen werden durfte, solange der Ehemann kein „bürgerliches Auskommen“ hatte. Dass er eine Stadtschulheißen-Tochter ehelichte, spricht dafür, dass der junge Mann einen guten Eindruck machte).

 

Der Gymnasiallehrer kritisiert den gymnasialen Unterricht

Die erste Veröffentlichung Ruefs, im Zusammenhang mit seiner neuen Lehrertätigkeit,  betraf Vorträge über antike Dichtung. Das sehr knappe Einkommen von 400 fl jährlich,  als einer von insgesamt sechs, später noch fünf Lehrern des Freiburger Gymnasiums, stieg, als  Ruef 1780 den Posten eines zweiten Uni-Bibliothekars erhielt. Weniger beliebt machte sich Ruef, als er bei der Austeilung der Schulpreise am 20. September diesen Jahres eine damals an österreichischen Gymnasien und Volksschulen übliche, bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten angewendete tabellarische Unterrichtsmethode kritisierte. Die Kündigung drohte; es folgten mehrtägige Vernehmungen, in die die höchsten Regierungsstellen in Freiburg eingeschaltet wurden. Ruef trat die Flucht nach vorne an; er drohte, er werde die umstrittene Schuljahrsschluss-Rede veröffentlichen; er berief sich dabei auf das gerade drei Monate zuvor von Joseph II verkündete Gesetz der „Preßfreiheit“: „Kritiken, wenn es nur keine Schmähschriften sind, sie mögen nun treffen, wen sie wollen, vom Landesfürsten an bis zum Untersten, sollen, besonders wenn der Verfasser seinen Namen dazu drucken lässt und sich also für die Wahrheit der Sache dadurch als Bürgen stellt, nicht verboten werden, da es jedem Wahrheit Liebenden eine Freude seyn muss, wenn ihm dieselbe auch in diesem Wege zukommt.“

Das Konflikt endete so: Ruef durfte die Stelle behalten unter der Bedingung, dass er seine frühere, MÜNDLICH geäußerte  Kritik nicht auch noch DRUCKEN  lasse.

 

Die Bürger überlassen das Veröffentlichen nicht nur den REGIERUNGEN 

Zwei Jahre nach dem vorstehend beschriebenen Konflikt, der den Vater dreier Kinder ziemlich ängstigte, beginnt 1782 die Tätigkeit, die Ruef möglicherweise finanziell sicherer machen sollte und die ihn jedenfalls überregional bekannt machte: die Herausgabe von populär-wissenschaftlichen Zeitschriften.

Ruef liegt damit im Zug der Zeit: Im 18. Jahrhundert nahm die Zahl der Zeitschriften stark zu. Ursachen waren u.a.: mehr allgemeinbildende Schulen, also eine bessere  Alphabetisierung; reicheres Bürgertum oder die von ihnen gebildeten Lesegesellschaften, die solche Zeitschriften abonnieren konnten; bessere Vertriebswege. Die reicher gewordenen Bürger fassten auch mehr Mut, öffentliche Angelegenheiten, auch solche der Religion, nicht mehr, wie bisher lange Zeit, den Regierungen zu überlassen, sondern sich selber kundig zu machen und, wenn schon nicht mitzuentscheiden, so doch wenigstens mitzureden. Geistesgeschichtlich sortierend nennt man diesen Vorgang „Aufklärung“; man denkt dabei freilich meist nicht an die zugehörigen technischen, wirtschaftlichen, sozialen Veränderungen. Geistesgeschichtlich betrachtet ist die „Aufklärung“ etwas in sich widersprüchliche (vgl. die sehr schöne Herausarbeitung der Kontroversen bei Klaus Epstein, Ursprünge des Konservatismus in Deutschland, 1973).

 

Ein Ulmer Verlag bringt für Ruef den „Freymüthigen“ heraus

Die absolutistischen Regierungen ließen sich damals begrenzte Zugeständnisse Richtung (begrenzter) Pressefreiheit abringen. Das war eine obrigkeitliche Duldung, die nach der Niederlage der von diesen Regierungen gefürchteten Französischen Revolution wieder zurückgenommen wurde. Diese obrigkeitliche Duldung war EIN zeitgenössischer „Hintergrund“ für die neue Ruefsche Zeitschrift „Der Freymüthige“, die ihre Absicht gleich im Titel kundtut. Freimut wollte Ruef vor allem beweisen gegenüber der katholischen Kirche in ihrer damaligen Form. Wenn man damals diesen Freimut gegenüber dem Katholizismus beweisen wollte, tat man vermutlich besser daran, nicht im katholischen  Vorderösterreich nach einem Verleger zu suchen: Ruef hat sicher nicht ohne Absicht in der protestantischen und damals noch Freien Reichsstadt Ulm einen Verlag gesucht – und in der bekannten „Wohlersehen Buchhandlung“ auch gefunden.

Der Zeitschriften-Titel „Der Freymüthige“ entsprach dem Trend des sich gegen bisherige absolutistische und kirchliche Bevormundung untereinander verständigenden gebildeten Bürgertums; deutsche Zeitschriften hießen bereits in der ersten Hälfe des 18. Jahrhunderts zum Beispiel „Der Vernünftler“, „Der Bürger“, „Der Freydenker“, „Der Redliche“, „Der Mann ohne Vorurtheile“ („Deutsche Literatur, Eine Sozialgeschichte“, Band IV, Hamburg 1980). Auch sonst war solch ein freiheitlicher   Titel „en vogue“: Im selben Jahr 1782, in dem der „Freymüthige“ zu erscheinen beginnt, veröffentlicht der aus Biberach stammende und dort einige Jahre an leitender Stelle der Stadtverwaltung tätige Schriftsteller, Dichter und , Zeitschriftenherausgeber Christoph Martin Wieland „Freymüthige Gespräche über einige neueste Weltbegebenheiten“ und befasst sich darin u. a. mit der Aufhebung des Jesuitenordens und der (modischen) Kritik am Mönchstum („Sämmtliche Werke“, Wien 1821, 36. Band). 

 

Der Freymüthige veröffentlicht auch Regierungserlasse…….

Ein weiterer Inhalt der Ruefschen Zeitschrift waren  neue Erlasse der österreichischen Regierung aus dem Kultusbereich. Wenn Bürokraten sich um die Publikation ihrer Erlasse kümmern müssen, dann kann das schon seine Zeit dauern; hier sah Ruef wohl eine Chance für unternehmerische Lebhaftigkeit: Ein privatwirtschaftlich organisiertes Unternehmen, das sich auf dem freien Markt zurechtfinden muss, ist oft rascher als eine staatliche Bürokratie; so nutzte  die neue Zeitschrift  als eine Art Gesetzesblatt auf privater Basis eine Marktlücke und wurde Zeit ihres Erscheinens ein wichtiges Publikationsorgan für habsburgische Regierungserlasse. Und an neuen Erlassen bestand unter dem reformfreudigen Kaiser Josef II kein Mangel.

Wie bei (populär)­wissenschaftlichen Zeitschriften damals üblich, enthielt auch der Freymüthige  Buch- und Aufsatzkritiken. - Das Inhaltsverzeichnis des ersten Heftes lautete:

Landesfürstliche Verordnungen (über „Bücherzensur und Preßfreyheit“, über die päpstliche „Bulle Unigenitus“),

ein Kommentar über diese Verordnungen,

Besprechungen dreier Bücher „Erdbeschreibung zum Gebrauche der studierenden Jugend in den habsburgischen Ländern“, von J. A. Petzeks,

„Synopsis Iurium communium“ - „Briefe über den Cälibat“ - des weiteren „Nachrichten“ „Von der Normalschule zu Freyburg“, vom dortigen Gymnasium etc.

Der „Freymüthige“ erschien sechs Jahre lang, zunächst monatlich, dann (vermutlich wegen unzureichender Abnahme) in unregelmäßiger Folge; dazu kommt ein Bändchen Beilagen.

 

Die „Freymüthigen“ Autoren  sind nicht ganz so freimütig

 

Mit dem Freimut mancher Presseleute war es doch nicht so weit her. Die Aufsätze der Zeitschrift erscheinen nicht namentlich gezeichnet, weshalb es dem Ruef-Biographen Amann Mühe bereitete, einen Teil der Aufsätze bestimmten  Autoren zuzuordnen; mit umfangreichen, scharfsinnigen Überlegungen kommt Amann zum Schluss, Ruef habe mehr geschrieben als seine Studienfreunde und Mitautoren Sauter und Dannenmayer.

 

Ruef gefällt sich im Gewand eines antiken Philosophen

 

Ruef verwendet zur “Kennzeichnung“ der von ihm selbst verfassten Texte das in Buchstaben-Paare zerlegte Pseudonym „Speusipp“: „sp“, „eu“, „si“, „pp“. Speusippos war ein Schüler Platons und war  dessen Nachfolger in der Leitung der von Platon gegründeten Philosophen-Gemeinschaft. In der Wahl eines solchen Pseudonyms steckt ein  hoher Anspruch.

Ein anderer Ruef-Forscher nimmt an, dass „Speusipp“ auch der Freimaurer-Logen-Name von Ruef war: Ruef soll dem aktivsten freimaurerischen und wegen seiner absolutismuskritischen Haltung bald verbotenen und verfolgten „Illuminaten-Orden“ angehört haben.

Dannenmayer zeichnet seine Aufsätze, ebenfalls antikisierend, als „Krantor“, Sauter als „Zeno eleaticus“, d. h. Zenon von Elea, ebenfalls ein altgriechischer Philosoph, einer der wichtigsten Vertreter der „stoischen“ Richtung. - Das Hineinschlüpfen in solche antikisierenden Pseudonyme war damals im Bildungsbürgertum beliebt, war typisch für den sogenannten  Klassizismus und Neu-Humanismus.

Dass Autoren sich selbst als freimütig feiern, es aber nur begrenzt sind (auch: aus Klugheit, wie die spätere Berufsgeschichte Dannenmayers und auch Ruefs belegt), das macht es ihren Gegnern leicht, sich über sie lustig zu machen: So verfasst ein Kritiker der Kritiker, der Freiburger Theologe Servati, zwei Jahre nach dem Vorliegen der ersten „Freymüthigen“-Nummer, 1784, eine Streitschrift gegen sie mit dem Titel „Freymüthige Anmerkungen über den Freymüthigen“.

 

„Gegen Köhlerglauben und Schwärmerei, für Duldung“

 

1786 wird das Erscheinen des „Freymüthigen“ eingestellt; an seine Stelle treten bis zum Jahre 1793 (als sie in den österreichischen Ländern verboten werden, „mit etwas veränderter äußeren Einrichtung und in schnellerer Folge“, die Freyburger Beiträge zur Beförderung des älteren Christentums und der neuesten Philosophie, herausgegeben von K. Ruef“. Verleger ist erneut die Wohlersche Buchhandlung in Ulm, die - wiederum einige Jahre später - noch eine weitere katholisch-aufklärerische Zeitschrift verlegen wird, herausgegeben von dem einstigen Priester und späteren Stuttgarter Hofprediger Werkmeister (E. Schmitt, Die Wohlersche Buchhandlung, Weißenhorn 1985, S. 28f).

Der Zweck der zweiten Zeitschrift wird so angegeben: „Rettung des Rechts der eigenen Untersuchung, Vertheidigung des biblischen Christenthums und Bestreitung des Unglaubens sowohl als des Aberglaubens, des Köhlerglaubens und der Schwärmerei, Erweckung des wahren christlichen Geistes der Duldung, der Eintracht unter den Christen“. Von der neuen Zeitschrift erscheinen 24 Hefte in acht Bänden. - Zur Erläuterung des Zeitschriften-Grundprogramms so viel: Das „biblische“ oder „ältere“ Christentum ist eines, das auf die Evangelien (besonders die ersten drei) zurückführt (oder -führen soll); damit wird vieles vom damaligen Katholizismus hinfällig, was sich unter dem Einfluss des Griechentums, aber auch anderer Völker, die von Christen missioniert wurden, etwa Kelten und Germanen, entwickelte; des Weiteren entfällt die Ausgestaltung einer kirchlichen Hierarchie, von der man ja im Neuen Testament ja nichts oder nur etwas mittels  sehr bemühter Auslegekunst erkennen kann.

Ruef und seine Freunde befanden sich mit ihrem kirchenreformerischen Programm auf der offiziellen habsburgischen Regierungslinie, auf der Linie Josephs II; der Kaiser selbst stand hier im Gegensatz zu seiner Mutter und seinen Nachfolgern. Mit dem Ende der Josephinischen Regierung wehte auch unserem Freiburger Trio der „Zeitgeist“-Wind wieder stärker entgegen.

 

Noch heute eine Aufgabe: „Eintracht unter den Christen“

Ein weiteres programmatisches Ziel der auf katholische Bildungsbürger berechneten Zeitschrift war, wie erwähnt, ein „Geist der Duldung und Eintracht unter den Christen“: Das bedeutet Wiedervereinigung der getrennten Konfessionen, ein Anliegen, das auch heute, zweihundert Jahre später,  noch nicht eingelöst ist, ein Anliegen, das von Katholiken und Protestanten in den Jahrzehnten nach dem jüngsten Vatikanischen Konzil viel beredet wurde, bei welchem Thema aber auch seitdem nur begrenzte Fortschritte zu verzeichnen sind; immerhin ist EIN  Wunsch Ruefs inzwischen Wirklichkeit: Die zu seiner Zeit noch übliche Verketzerung findet heute, zweihundert Jahre später, nicht mehr statt. Ob das freilich nicht eher auf außer- als auf innerkirchliche Veränderungen zurückzuführen ist, sei dahingestellt.

 

Die „Freyburger Beiträge“ 

Am Schluss des dritten Jahrgangs der „Freyburger Beiträge“ erscheint Ruef nicht mehr als Herausgeber; die Rede ist nur noch von einem ungenannten „katholischen Selbstdenker“; auch der Ortsname „Freiburg“ verschwindet. Ruef-Biograph Amann weist darauf hin, dass Joseph II gerade verstorben ist (1790). Amann hätte statt auf Josephs Tod auch auf den Beginn der Frz. Revolution und das sich  ändernde „Klima“ in den monarchischen Umgebungsstaaten hinweisen können.

Die Artikel der „Freyburger Beiträge“ erschienen ebenso  fast alle unter Pseudonymen, jetzt freilich eines anderen Typs: Klerikus Adisidämon, Christianus Arhomäus, Pacificus tolerans, Raimund Ulrich Eusebius Friedemann, Fidelis Pacificus. Diese Pseudonyme sind im Gegensatz zu denen des „Freimüthigen“ nicht nach antiken Vorbildern geschneidert, sondern sind übersetzbare Wortschöpfungen: „Christianus Arhomäus“ heißt eigentlich „Der nicht-römische Christ“ (mit „nicht-römisch“ ist gemeint: gegen die vom Papst verkörperte katholische Hierachie). „Pacificus tolarans“ bedeutet „Der Friedensstifter, der Duldsame“, ähnlich „Friedemann“. Amann gelingt der Nachweis, dass der „katholische Selbstdenker“ und die vorgenannten Pseudonyme alle Ruef selbst bedeuten, der so „der beinahe ausschließliche Verfasser der acht Bände dieser zweiten Zeitschrift“ ist.

Dannenmayer schied 1786 aus dem Kreis der Mitarbeiter aus, weil er als Professor der Kirchengeschichte an die Universität Wien berufen wurde. Was Sauter betrifft, so scheinen ihn Widerstände gegen die Zeitschrift bewogen zu haben, „das Handtuch zu werfen“; Amann zitiert einen Brief Sauters, in dem er „Verfolgung“ beklagt und die „Gefahr, Brod und Ehre zu verlieren; da sei es „Zeit, seine Freimüthigkeit einzupacken“.

Der Ruef-Biograph Amann berichtet, dass er 1826 zur Klärung der Autorenfrage den damals noch lebenden Verleger des „Freimüthigen“ und der „Beiträge“, „Herrn Köhler, Inhaber der Wohlerschen Buchhandlung in Ulm“ befragte und von diesem jene Auskunft erhielt, die den von ihm schon aus anderen Gründen angenommenen Vorrang Ruefs als Verfasser und Herausgeber bestätigt.

 

Taktische Selbstkritik des Religionsaufklärers

Mit dem vorerwähnten „Katholikus tolerans“ (KT) kommt ein Kritiker des ruefschen „Aufklärungsgeschäfts“ in dessen eigener Zeitschrift zu Wort: „KT“ hält die ruef’schen Aufklärungsbemühungen für überflüssig, weil wirkungslos; er hält sie gar für schädlich, weil mit dem erfolgreich bekämpften Aberglauben oft auch der echte Glaube verloren gehe. „KT“ wirft Ruef in dessen eigener Postille vor, dass er, der die Sanftmut zum Prinzip erkoren habe, zwischendurch „alle Sanftmuth, Duldung und Liebe“ hintansetze „und auf Hierarchie und Papstthum, auf Cardinäle, Bischöfe, Priester und Mönche, ja selbst auf einzelne Personen in einem Tone losstürmt, der nahe an den rauhen Ton der Reformatoren des 16. Jahrhunderts gränzt.“ Allem nach steckt auch hinter dem Pseudonym „Katholikus Tolerans“ Ruef selbst. Ruef plante, so scheint es, auf diese von ihm selbst verfasste Kritik seiner eigenen Positionen einzugehen; es gibt Notizen für eine Anti-Kritik, in denen „die Waffen nicht eben sehr gesenkt erscheinen“ (Amann S. 25): „Kann man den Menschen, auch wenn sie sich glücklich dabei befinden, wohl solche Irrthümer lassen, welche die Seele verderben und die Grundpfeiler der Tugend erschüttern? Darf man dann nicht eher ein weniger ärgern als schwelgen?... Wer die Freiburger Beiträge liebt, wird sie verstehen, und nicht den Glauben mit dem Aberglauben wegwerfen, sondern auch den vielen und warmen Erinnerungen zur Tugend und Frömmigkeit Gehör geben.... Es gibt Wahrheiten, die man nicht ohne Beleidigung Anderer sagen kann. Soll man sie gar nicht sagen, so nützlich sie auch sind?“

 

Kaiserliches Lob, im Jahr des beginnenden Klostersturms 

Schon im ersten Erscheinungsjahr des „Freymüthigen“, 1782, erhielten die Freiburger Aufklärer höchstes Lob aus Wien, von der kaiserlichen Hofkanzlei. Gelobt wird, dass die Zeitschrift „in einem bescheidenen Tone, welcher immer mehr als entscheidende Machtsprüche und satyrische Ausfälle zur Aufklärung beigetragen, abgefasst“ und dass „auch die Sprache rein und den Gegenständen angemessen befunden und daher allergnädigst befohlen worden, den drei Professoren Dannenmayr, Sauter und Ruef die allerhöchste Zufriedenheit darüber zu erkennen zu geben.“

Worauf der Ruef-Biograph Amann freilich nicht eingeht, ist der zeitgeschichtliche Hintergrund dieses Lobs von höchster Stelle: Im gleichen Jahr 1782 beginnt der Kaiser mit der Aufhebung vieler Klöster, eine Entscheidung, die ihm schon zu Lebzeiten und erst recht danach schwer angekreidet wurde (und die in den habsburgischen Niederlanden fast zu einer Revolution führte).

 

Protestanten gefallen diese katholischen Aufklärer sehr 

Es war im 18. Jahrhundert üblich, dass „kritische Zeitschriften“ gegenseitig  von einander Notiz nahmen (was heute selten geworden ist). Lobenden Zuspruchs durfte sich der katholizismuskritische „Freymüthige“ verständlicherweise vor allem von Zeitschriften erfreuen, die in protestantischen Gegenden Deutschlands erschienen. Die „Allgemeine Deutsche Bibliothek“, herausgegeben von dem berühmten Literaten und Aufklärer Nicolai in Berlin, lobt: „Keiner der neuern katholischen Reformatoren stellt die Gebrechen des politischen, dogmatischen und moralischen Systems seiner Kirche mit größerer Klarheit und wärmerer Eindringlichkeit dar als der Verfasser (Herausgeber) des 'Freymüthigen? und der 'Freyburger Beiträge'. Die Recensenten (vf: die Neuerscheinungs-Kritiker) sind in der That Männer von großen Einsichten in der Pädagogik, von wahrer Gelehrsamkeit, von tiefdringendem Blicke und vortrefflicher Freimüthigkeit“.

Die „Göttingischen gelehrten Anzeigen“, ein europaweit berühmtes Rezensionsorgan und eine der heute noch bestehenden ältesten wissenschaftlichen Zeitschriften überhaupt, rühmt 1783: „Die wichtigsten Gegenstände der kaiserlichen Reformationsgesetze werden hier untersucht zur Belehrung derer, welche solche Veränderungen wohl noch anstößig finden. Es geschieht aber mit einer rühmlichen Bescheidenheit und Gründlichkeit. Überall wird aus der Historie Licht verschafft.“

Die „Erlanger gelehrten Anmerkungen und Nachrichten“ vermerken 1782: „Man findet hier (sc. im „Freymüthigen“) gleichsam ein Archiv, zu dem man seine Zuflucht nehmen kann, wenn man sich von den menschenfreundlichen Unternehmungen Josephs II zuverlässig und genau unterrichten will. Die Abhandlungen dienen ... zur Verbreitung gemeinnütziger, von dem großen Haufen verkannter, aber doch nicht genug beherzigter Wahrheiten und zur Tilgung schädlicher Vorurtheile.“ Die Abhandlung des „Freymüthigen“ über die neue Pressefreiheits-Verordnung des Kaisers wird von diesen „Erlanger Gelehrten“  als „der beste Commentar“ dazu gepriesen.

Fast überschwängliche Lobeserhebungen auf die junge Zeitschrift erscheinen auch in anderen deutschen Zeitschriften; Amann zitiert ausführlich die „Nürnberger gelehrte Zeitung“, die „Oberdeutsche Allgemeine Literaturzeitung“. Schlözers Göttingischer Staatsanzeiger“ schreibt vollmundig, der „Freymüthige“ sei  „nach jetzigen Zeitläufen allein eine Universität werth“.

Auch für die „Freiburger Beiträge“, die den „Freymüthigen“ ablösen, kann Ruef-Biograph Amann lobende Einschätzungen zitieren.

Um die „Beiträge“ nicht mit zu vielen Rezensionen zu  beschweren,   versuchte Ruef, noch eine weitere Zeitschrift zu gründen, das „Repertorium der neuesten philosophischen und theologischen Literatur des katholischen Deutschlands für Freunde der Aufklärung“ (Ulm / Stettin). Der erste Band erscheint 1790; zu einem weiteren Band scheint es nicht gekommen zu sein. Die Zeit, in der die katholische Aufklärung in Deutschland obrigkeitliche Zustimmung gefunden hatte, ist nämlich zu Ende.

 

Der Name Ruefs wird an einen Galgen geheftet 

1785 erhält Ruef die juristische Doktorwürde; 1786 wird er zum Ersten Bibliothekar der Universität  Freiburg bestellt. Aber es gibt auch Kritik - und bemerkenswert geäußerte: So wird von einem Unbekannten ein Zettel mit Ruefs Namen an einem Galgen bei Freiburg befestigt (Galgen waren damals gebräuchliche juristische Werkzeuge). Ruef muss bald erkennen: „Mönche und der ganze Gewaltshaufen der Dummheit“ (Ruef) können nicht ohne weiteres so beschimpft werden, wie es manchmal im „Freymüthigen“ vorkommt. Die Mönche und der „Gewalthaufen“  wehren sich. Sie wehren sich freilich nicht nur durch Zeitschriftenaufsätze oder Plakate an Galgen, sondern durch ein anderes Verfahren: indem man die „weltliche Obrigkeit“ gegen Ruef und seine Mitarbeiter in Gang zu setzen versuchte.

Solang die Gegen-Kritik nicht  Ruefs Beruf und damit seinem festen  Einkommen schadete,  solange konnte Ruef diese Kritiker  herablassend als „Provinzial-Geschmack“ abtun und versuchen, sich über sie hinwegzutrösten mit dem „bessern Geschmack der Nation“ (d.h. mit Aussagen wie der der fernen, protestantischen Universitätsgelehrten und Zeitschriftenherausgeber in Göttingen und Berlin, Schlözer oder Nicolai).

 

Der Abt bittet um ein Verbot der Zeitschrift 

Als Joseph II gestorben und Leopold II Nachfolger geworden war, bat der auch als Wissenschaftler, insbesondere als Kirchenmusik-Historiker bedeutende Fürstabt des großen Klosters St. Blasien, Martin Gerber, den Kaiser in Wien, die „Freiburger Beiträge“ zu verbieten (so berichtet jedenfalls die Zeitschrift selbst). Leopolds Antwort soll gewesen sein: „Wozu verbieten? Sie können sie ja widerlegen.“

Die weiter unten berichteten obrigkeitlichen Entscheidungen, nämlich die Kündigung Ruefs als Gymnasiallehrer und das Verbot seiner Zeitschrift, passen freilich nicht zu der vorstehend in den „Beiträgen“ berichteten liberalen Einstellung von Kaiser Leopold. Aber mit der zunehmenden Radikalität der französischen Revolutionäre wuchsen die Ängste der umgebenden Monarchen und damit Ängste vor allen Veröffentlichungen, die nur ein wenig nach Rütteln an „Thron und Altar“ aussahen.

 

Verbot der Zeitschrift  - Verlust der Lehrer-Stelle 

1792 wurden die Lehrstellen des Freiburger Gymnasiums mit Benediktiner-Mönchen besetzt; Ruef wird die Lehrerstelle gekündigt, er behält aber sein Gehalt.

Ende 1792 werden zwei der neuesten Hefte der Beiträge, das 19. und 20., in Wien verboten, obgleich darin, so Ruef, kein Grundsatz zu entdecken sei, der nicht schon in den früheren, unverbotenen Heften zu finden war.

Im Frühjahr 1793 sah es so aus, als ob die Zeitschrift insgesamt in Habsburgischen Landen  verboten wird; Ruef stellt das Erscheinen der „Beiträge“ ein.

 

„Ruef gefährdet die studierende Jugend“ 

Am 18. April des gleichen Jahres verliert Ruef die  Bibliothekars-Stelle; die vorderösterreichische Provinz-Regierung schreibt ihm: „Seine Majestät haben zu entschließen geruht, dass ... Ruef wegen der ... (in den „Freiburger Beiträgen“) geäußerten schädlichen Grundsätze von der Stelle eines öffentlichen Bibliothekars entfernt werden solle, weil er in dieser Eigenschaft viele Gelegenheit habe, mit der studierenden Jugend eine vertrauliche Bekanntschaft zu unterhalten, ihr gefährliche Bücher und schädliche Lehren beizubringen und da im Stillen mehr Schaden zu tun...“ - Es wird Ruef jedwede Zeitschriften-Herausgebertätigkeit „bei Vermeidung der schärfesten Bestrafung“ untersagt.

 

„Kein Wort über die Französische Revolution“ 

In einem Protestschreiben betonte Ruef, dass der Gesamt-Senat der Uni ihm bescheinigt habe, der Universität „durch seine Schriften in ganz Deutschland Ehre gemacht“ zu haben; des Weiteren, dass ihm vor dem Verbot der Zeitschrift keinerlei Verwarnung von „oben“ zugegangen sei; des Weiteren, dass es keine juristische Einspruchsmöglichkeit gegen das Zeitschriften-Verbot gebe, so wenig wie zuvor eine Anhörung zu dem Verbot.

Ruef ahnt, woher der neue Wind weht; er führt in seinem Protestbrief gegen die Zeitschriften-Aufhebung an, dass in den „Beiträgen“ kein Wort über die Französische Revolution vorgekommen sei (vf: Das will wohl   unausdrücklich sagen, dass er, Ruef, nirgends für diese Revolution gutgesprochen habe, wie es damals ja einige deutsche Intellektuelle, u.a. der aus Biberach stammende Christoph Martin Wieland, getan hatten). - Aber damals war in Deutschland eben an oberer Stelle jede Kritik an Obrigkeiten kirchlicher oder weltlicher Art unerwünscht geworden – mit einer Ausnahme: Kritik an der Regierung der französischen Revolution.

Einige Monate später erhielt Ruef die Bibliothekarstelle wieder, freilich unter erneuter Einschärfung, er habe sich aller „unbedachtsamen Reden, anstößigen Schriften, Mittheilung gefährlicher Bücher“ bei Gefahr des Stellenverlusts und weiterer Strafen strikt zu enthalten. In Deutschland und Habsburg wurden jetzt  wie erneut drei Jahrzehnte später, dann nach 1848 und erneut während des Dritten Reichs kritische Intellektuelle verfolgt.

 

Panischer Schrecken, trotz kleiner Abo-Zahlen 

Der im Vergleich zu den „Beiträgen“ ungleich berühmtere „Teutsche Merkur“ von C. M. Wieland, der zudem nicht auf ein konfessionell begrenztes Publikum zugeschnitten war, zählte in den ersten Jahren seines Erscheinens 2000 Abonnenten, nach zehn Jahren, Anfang der 1780er Jahre, noch 1.500, wohlgemerkt in einem Einzugsbereich, der flächenmäßig wenigstens doppelt so groß war wie die Bundesrepublik (Zahlen aus „Wieland-Kolloquium Halberstadt 1983“, Halle 1985, S. 61); man kann sich ausrechnen, dass die Abonnentenzahl der „Freiburger Beiträge“ und damit  ihre Auflage  wesentlich unter der des „Teutschen Merkur“ lag. Die Zeitschrift befasste sich vor allem mit theologischen Fragen wie etwa der Zulässigkeit des Wunderglaubens und mit - an sich schon öden - amtlichen Bekanntmachungen; trotzdem hatte die Wiener Regierung Angst vor dem „anstößigen“, „gefährlichen“ Inhalt dieser so gering verbreiteten Zeitschrift.

Im Februar 1793 begann Ruef noch ein weiteres Publikationsprojekt; man muss es wohl Zeitung nennen; es war für den regionalen Freiburger Leser-Markt gedacht, das „Freiburger Wochenblatt historisch-moralisch-politischen Inhalts“. Diese periodische Publikation, die auch Texte unterhaltender Art, etwa Erzählungen, enthielt, brachte es nur auf 26 Nummern und eine Erscheinungsdauer von einem halben Jahr. - Ruef plante auch eine größere Buchveröffentlichung; daraus wurde aber nichts.

1793 war die erste Frau Ruefs gestorben; im Spätjahr 1794 ehelichte er Maria Antonia Maier, eine Tochter des Riedlinger Stadtarztes Dr. Maier (auch  Riedlingen gehörte damals noch zu Vorderösterreich).

Die politische Situation entspannte sich wieder: In Frankreich kam eine gemäßigte, großbürgerliche Richtung ans Regierungs­Ruder, das „Directoire“. Dieser Wandel wird  auch das „Klima“ in Vorderösterreich entspannt haben und mit ein Grund sein, dass Ruef nach langen Bemühungen endlich 1797 zum „ordentlichen öffentlichen“ Professor des römischen Civilrechts ernannt wurde. 1803 kam dazu die Berufung zum Rat beim Appellationsgericht (d. h.: Berufungsgericht) in Freiburg. Nach dem Tod des Freundes Sauter erhielt Ruef im Alter von 70 Jahren an Stelle des bisherigen Lehrstuhl-Inhabers dessen Lehrstuhl für Kirchen- und Kriminalrecht.

In die Jahre 1813 bis 1824 fällt die Herausgabe der ersten Lieferungen des von Ruefs verstorbenem Freund und Ordensgeistlichen Klüpfel hinterlassenen Werks über Leben und Schriften des Humanisten Konrad Celtis, des Weiteren Bücher juristischer Art.

Wegen altersbedingter Schwäche bat Ruef 1820 um die Versetzung in den Ruhestand. Von seinen insgesamt zehn Kindern musste er neun zum Grab begleiten; nur ein einziges Kind hat den Vater überlebt, Hermann Sigmund, später Oberamtsarzt in (der ursprünglich ebenfalls vorderösterreichischen Stadt) Waldsee.

Beiläufig: Es gibt einige Hinweise darauf, dass Ruef zu einer gesellschaftlichen Schicht gehörte, die in Vorderösterreich häufig kommunale Verwaltungsaufgaben übernahm, die ihre Ehepartner aus dieser Schicht „bezog“ und sich auch bei einem Wechsel des Berufs gern in einer der vorderösterreichischen Städte niederließ; eine Parallele zu dieser Schicht war im damaligen Altwürttemberg die „Ehrbarkeit“).

Ruefs Biograph Amann berichtet, Ruef habe ein Portrait von sich hinterlassen. Eine Portraitzeichnung, die in der „Neuen allgemeinen deutschen Bibliothek“ 1795 erschien und hier wiedergegeben ist; sie wird aber von Amann als „nie ähnlich“ bezeichnet.

  

Schwäbische Zeitung Ehingen, Montag,  13. Januar 1992,

Scan Dezember 2011 durch Walter Schaupp, Ehingen,

Erneut redigiert durch den Autor Veit Feger im  Dezember 2011

eMail:  Veit.Feger@t-online.de

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