Eine alte Erfahrung wird bestätigt: Autoren beantworten kritische Briefe nicht

Julia Onkens Autobiographie: Widersprüche und unterlassene Fragen

Die Schweizer Psychotherapeutin Julia Onken hat im Jahr 2005 eine Art Autobiographie mit dem Titel „Eigentlich ist alles gelaufen – Mein Weg zum Glück" veröffentlicht.

Ich, Veit Feger, schrieb im Oktober 2005 an die Autorin einen längeren Brief mit Fragen zu dieser Autobiographie und kritischen Anmerkungen. Ich erhielt DREI Monate später von Julia Onken eine höfliche, kurze Antwort. Auf die INHALTE meines langen Briefs ging die Autorin NICHT ein.

Ich habe in den zurückliegenden Jahren mehrfach (in einer Anwandlung von Höflichkeit) meine Einwände gegen ein Buch nicht sofort zu veröffentlichen versucht, sondern meine Gedanken und Einwände an den Autor persönlich geschrieben, damit der Autor und ich, wir beide, die Chance haben, etwas zurechtzurücken: der Autor an seinem Text oder an meiner Deutung, ich an meiner Kritik. Die Befragten und Kritisierten antworteten überhaupt nicht oder kurz und inhaltslos, so nun auch Julia Onken.

Das veranlasst mich dazu, künftig Buchkritiken nicht mehr VOR einer Publizierung dem Kritisierten zur Stellungnahme vorzulegen, sondern SOFORT zu veröffentlichen.

Im folgenden der Brief, den ich im Herbst 2005 an Julia Onken richtete, zur jetzigen Veröffentlichung überarbeitet.

 

Verehrte Frau Onken,

seit Jahren kaufe und lese ich Bücher von Ihnen. - Etwas, das mich gerade bei Büchern von Psychologen interessiert, ist die Frage: Wie schildern diese Menschen ihre Niederlagen und wie bringen sie ihre guten Ratschläge mit der eigenen Lebenswirklichkeit unter EINEN Hut?

Es gibt in Ihrem Buch einige Stellen, an denen meines Empfindens Lebenswirklichkeit und Psychotherapeuten-Ratschläge nicht zueinander passen (ohne dass das benannt würde). Da ist einmal der zeitweilige Dissens mit Ihrer Mutter, da ist weiter das generelle Lob des weiblichen Geschlechts, obwohl Sie doch bereits in Ihrer Kindheit UNGUTE Frauen kennengelernt haben (eine Empfindung, die Sie mit einem mütterkritischen Gottfried-Benn-Zitat bestätigen). Vor allem aber scheinen mir Lebenswirklichkeit, Interpretation und allgemeine gute Ratschläge in Widerspruch zu geraten, wenn es um die Auslegung Ihrer (ersten?) EHE und deren Scheitern geht.

Sie konstatieren ein zunächst ein riesengroßes Glück mit Ihrem Partner und notieren dann eine um so erstaunlichere RASCHE Entfremdung. Sie bezeichnen es als „Schlüsselkränkung", dass SIE sich dem gemeinsamen Kind widmeten, während Ihr Mann Uni-Kurse besuchte. Dann schreiben Sie, diese Kränkungsempfindung „muß sich wohl mit jener Urkränkung gekoppelt haben, die mir einst mein Vater zugefügt hatte. So wurde mein Mann plötzlich zum Repräsentanten für Kränkungen, vor denen ich mich in Acht zu nehmen hatte."

Mir gefällt an diesen Sätzen nicht, dass Sie den Vorgang in Ihrer Seele als einen Automatismus darstellen: „das muss sich gekoppelt haben" „so wurde mein Mann...". - Ich meine, es wäre fairer gewesen, Sie hätten sich - aus Ihrer heutigen Sicht heraus - dazu bekannt, dass Sie sich OHNE zureichenden Grund als verletzt empfanden, dass Sie die UNzureichende Begründung damals freilich nicht merkten; dass Sie UNBEWUSST die im Umfang mit Ihrem Vater erworbene Empfindung „Männer sind ungut" generalisierten, eine Empfindung, für die Ihr Mann dann büßen musste.

Dieser automatische Verallgemeinerungs- und Beschuldigungs-Vorgang passt nicht zu einem der guten Ratschläge, die Sie am Buch-ENDE erteilen. An dieser Stelle wäre es nicht schlecht gewesen, wenn Sie vermerkt hätten, dass Sie selbst nicht immer in Ihrem Leben dem hier erteilten guten Rat entsprechend handelten. Seite 87 empfehlen Sie: „Wer in der Partnerschaft glücklich sein will, sollte die Wünsche, wie der andere beschaffen sein müsste, begraben und lernen, den wirklichen Menschen zu lieben, mit all seinen Eigenheiten." - Ich nehme an: Hätten Sie sich selbst in Ehe I an diese Regel gehalten, wäre diese Ehe nicht gescheitert. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie als Autorin irgendwo in Ihrem Buch notieren, dass Sie diesen - sicher richtigen - Ratschlag, den Sie als Sechzigerin erteilen, als 25jährige noch nicht als sinnvoll erkannt hatten, dabei waren Sie auch damals schon eine überdurchschnittlich kluge und gebildete Frau.

Was mich beim Lesen Ihres Buchs erstaunte, war, dass Sie als Folge jener Kränkungsempfindungen in Ihrer ersten Ehe ausgerechnet die SEXUALITÄT aus den mit Ihrem damaligen Ehemann gemeinsamen Lebensbereichen ausschlossen.

Warum gerade die SEXUALITÄT? Warum nicht ANDERE Bereiche des gemeinsamen Lebens?

Diese Frage wird, scheint mir, nicht gestellt – und braucht dann auch nicht beantwortet zu werden. - Sie schreiben, dass Sie weiterhin mit Ihrem Mann KOMMUNIZIERTEN; dass Sie ihn mochten etc.: „die grundsätzliche Zuneigung zu meinem Mann blieb", oder S. 54: „Auf der für mich ungefährlichen geistigen Ebene war meine Zuneigung zu ihm noch immer da. ... Nur die Seele hatte sich auf unsichtbare Weise verschlossen." - Meines EMPFINDENS hätte es näher gelegen, dass Sie Ihren Mann im geistigen Bereich schneiden, schließlich beschnitt er Sie nicht im Geschlechtlichen, sondern im INTELLEKTUELLEN, indem SIE das Kind hüteten, während er sich geistigen Genüssen hingab. Warum die „geistige Ebene" „ungefährlich" (s.o.) sein soll, wo sich die Autorin als junge Frau doch gerade im intellektuellen Bereich durch das Kinderhüten benachteiligt fühlte, ist mir schleierhaft.

Warum wurde gerade die SEXUALITÄT aus den verschiedenen Bereichen Ihrer Beziehung ausgegliedert? Das wird meines Empfindens nicht zureichend begründet.

Sie schreiben, Sie wollten nach diesem Erlebnis „nie mehr der Gefahr" ausgesetzt sein, „verletzt zu werden". Nun hatte Ihr Mann Sie doch nicht auf SEXUELLEM Gebiet verletzt, sondern auf einem anderen. Wenn er meinetwegen Sie wegen Eigenschaften und Verhaltensweisen „im Bett" kritisiert hätte, wäre der Rückzug aus dem Sexualleben verständlich, ja legitim, aber er hat – jedenfalls verstehe ich so den Duktus Ihrer Erinnerungen – Sie NICHT im Sexualbereich kritisiert. Ich erlaube mir eine Deutung: „Sie fanden ihn halt nicht mehr attraktiv und suchten eine brauchbare Entschuldigung für Ihr sexuelles Desinteresse." (Vielleicht wars einfach jene bekannte Änderung der Hormone nach einer Geburt, ein Vorgang, unter dem manche Frau ihren Mann leiden lässt, ohne sich dieses Verhalten zu vergegenwärtigen oder, wie Sie, eine löchrige Entschuldigung erfindet.).

Erneut gerate ich ins Staunen, wenn ich auf S. 74 von den Dissensen lese, die es auch in Ihrer Beziehung zu Ihrem DERZEITIGEN Partner Felix gab und gibt: Da heißt es einmal: „ich war doch sehr getroffen, ja zutiefst verletzt". Aber Ihrem ZWEITEN Mann entziehen Sie sich allem nach sexuell NICHT. Warum nicht? Es läge genau so nah wie bei der Beziehung zu Ihrem ERSTEN Ehemann.

Ich gewann den Eindruck, dass Sie die Verletzung, die Sie Ihrem Mann antaten, indem Sie sich sexuell zurückzogen, nicht durchschaut haben. Meine Begründung für diese Annahme: Sie betonen mehrfach in Ihrem Buch, wie wichtig für Menschen die Empfindung sei, akzeptiert zu werden. Ich meine: Ein Mann, der nicht begehrt wird, vor allem nicht: von seiner EHEFRAU begehrt wird (dem einzigen Menschen, der ihn in einer monogamen Beziehung ohne schlechtes Gewissen begehren darf), empfindet sich häufig als GESAMTperson nicht akzeptiert. Auf S. 62 schreiben Sie zwar, Ihr Verhalten sei „eine schwere Kränkung und Enttäuschung" für Ihren Mann gewesen, aber Sie formulieren dann auch. für mein Empfinden viel zu salopp: „Das war zweifellos eine harte Nuss für einen jungen Mann." Diese Formulierung lässt mich vermuten, dass der von Ihnen so sehr berufene Wunsch jedes Menschen nach „Wertschätzung, Beantwortung und Bejahung des eigenen Wesens" (S. 59) von IHNEN, wenn es um IHRE erste Ehe ging, aus der SIE sich ja sexuell verabschiedet haben, nicht sonderlich ernst genommen wurde.

Dass Sie Ihren ersten Ehemann noch immer nicht genügend zu verstehen scheinen, das geht - meines Empfindens - aus folgender im Veröffentlichungsjahr 2005 von Ihnen verwendeten Formulierung hervor: „Er nahm sich eine Geliebte" - Zack, einfach so, als ob das halt so eine Trotzreaktion gewesen sei. Es war – erlaube ich mir anzunehmen – der Versuch Ihres ersten Mannes, jene Verletzung des Selbstwertgefühls infolge der Ablehnung durch SIE zu heilen.

Die Formulierung „er nahm sich eine Geliebte" ist zudem nicht frauenfreundlich, eine Einstellung, die Sie ja offiziell gern einnehmen. Wo? frage ich, kann ein Mann sich locker „eine Geliebte nehmen"? Wie gern täten dies viele Männer! J Aber die Frauen reden da ein Wörtlein mit J . FRAUEN entscheiden in unseren Breiten schon seit langem, ob sie sich zur Geliebten machen lassen - oder nicht. Ihrer Formulierung merkt man an, dass Sie auf jene Frau schlecht zu sprechen sind, die Ihrem Mann eine Empfindung gab, die Sie ihm NICHT mehr gaben. - Ihr Satz bestätigt die öfters zu hörende Vermutung, dass Frauen ihren Feminismus vergessen, wenn ihr Freund eine Geliebte hat.

Ihr Mann unterstützte Sie bei der ENTSCHEIDUNG, Psychologie zu studieren, und, wie ich den Eindruck gewann, auch zunächst beim STUDIUM selbst (S. 56). Sie hatten also nun doch, nach einigen Monaten oder Jahren Kleinkinder-Hütefrust (die genaue Zeitdauer war mir nicht erkennbar) die von Ihnen so dringend gewünschten geistigen Emanzipierungen, Genüsse, Fortschritte (vgl. S. 63 oben). Dann aber, so meine ich, hätten Sie doch Ihre sexuelle Ablehnung des Ehemanns ZURÜCKnehmen können und sollen. Das scheint aber nicht der Fall gewesen zu sein. Ja, Sie legen noch eins drauf: Sie bekennen auf S. 61, Sie hätten „immer mehr den Part des Unterdrückers" auf Ihren Mann projiziert. Sie gestehen mit dem Wort „projizieren" sogar zu, dass die Art, wie Sie Ihren damaligen Partner wahrnahmen, unfair war.

Sie schreiben, die Beziehung mit Ihrem Mann sei nicht frei „von Macht und Unterdrückung" gewesen (S. 61). Wo die SEXUELLE Unterdrückung in Ihrer Ehe-Beziehung ausgeübt wurde, beschreiben Sie, wenn ich zureichend gelesen habe, nirgendwo. S. 62 stellen Sie fest, Ihr Mann sei Ihnen „geschwisterlich nahegestanden" - „geschwisterlich" ist ein Modell, das zu „Macht und Unterdrückung" NICHT passt.

Dass Ihr Ehemann mit IHREN außerehelichen Beziehungen einverstanden war, dass er sich „großzügig" verhielt, das wird ihm von Ihnen vorgehalten mit dem Satz, mit dieser Großzügigkeit habe er es Ihnen „nicht unbedingt einfacher gemacht, diese" „Freundschaften" (!!) „ganz zu genießen". Ich frage: Fehlte der Thrill des Tabu-Bruchs??.

Sie entwerten seine Großzügigkeit Ihrem Fremdgehen gegenüber mit dem Satz, er habe selber was Außereheliches betrieben. So, als habe er nur eine innere Verrechnung vorgenommen, der Art: Ich gehe fremd, also darf ich meiner Frau das Fremdgehen nicht übel nehmen. – Ich frage: Muss das die einzige Deutung seines Verhaltens sein? – Sprechen Sie von den Außenbeziehungen Ihres Ex-Mannes ebenso positiv wie Sie es von Ihren eigenen Außenbeziehungen tun, nämlich als von „Freundschaften"?

Nachträglich kriegt Ihr Mann (der nach der Trennung Ihrer Schilderung zufolge sich Ihnen gegenüber sehr übel benahm) noch eine Ohrfeige verpasst, indem Sie die Sexualität mit Ihrem JETZIGEN Partner in den höchsten Tönen schildern (S. 65. Beiläufig: Diese sexuelle Seite Ihrer zweiten Ehe wurde auch durch „tiefste Verletzungen" nicht beschädigt – schon kurios.

Zu Beginn des Kapitels „Schwimmhilfen" schreiben Sie: „Es ist durchaus möglich, ohne Liebesbeziehung durchs Leben zu gehen. Ohne Freundschaften hingegen halte ich es für ziemlich aussichtslos" Ich deute diesen Satz so: Sexualität ist für Sie KEIN fundamentales menschliches Bedürfnis (obwohl Sie dieses Bedürfnis an einer Stelle sogar mit ihrer „Seele" gleichsetzen). Ich frage mich (und auch SIE): „Wie können Sie bei einer solchen zentralen Empfindung MÄNNER zureichend verstehen?"

Ein anderes Thema. Sie bezeichnen die Lage der Männer als rosig, verglichen mit der Lage von Frauen. Ich vermute: Sie denken da – unausdrücklich – nur an Oberschicht-Männer, ganz und gar nicht an Durchschnittsmänner, die in unserer Gesellschaft sicher zwei Drittel aller Männer ausmachen. Sie schreiben doch tatsächlich: Männlichen Geschlechts „zu sein, impliziert, dass alle Türen offen stehen und sich Anlagen frei entfalten können – unabhängig von der äußeren Erscheinung, vom Auftreten, von Zielsetzungen und Ergebnissen." - Einen Satz zuvor schreiben Sie: „Es lohnt sich, in der Fantasie die ganze führende Elite männlicher Politiker in Frauen zu verwandeln. Dann wird schlagartig klar..." – Ja, die Status-Elite der Männer meinen Sie! Aber das sind sicher nur wenige Prozent meiner Geschlechtsgenossen. Es gibt sehr viele Männer, die vom „Leben" KEINE Chance zur Entwicklung ihrer Fähigkeiten erhalten.

Ich habe den Eindruck, dass Sie viel Böses in Geschlechtsbeziehungen diesem Alles-und-nichts namens „Patriarchat" anlasten, einer gesellschaftlichen Machtverteilung, an der wir Männer schuld sein sollen. Ich möchte sagen: Einige Schuld trifft sicher auch die von Ihnen – so scheint mir - geliebte und geschätzte Hauptreligion unserer Breiten. Einige Schuld am Patriarchat, möchte ich anfügen, trifft auch die FRAUEN selbst, jedenfalls in Zeiten von Freien Wahlen, wie wir sie in Deutschland nun schon seit Jahrzehnten haben. Wieviel Schuld am Patriarchat trifft die Männer dann noch, wenn es Parteien mit wirklich frauenfreundlichen Programmen gibt wie die deutschen GRÜNEN, wenn aber diese Partei bei x Wahlen keinesfalls von mehr Frauen als Männern gewählt wurde und - in absoluten Zahlen - von SEHR wenigen Frauen, obwohl Frauen in unserem Land mehr als die Hälfte der Stimmberechtigten ausmachen und alle Frauen in unserem Land alphabetisiert sind. Angesichts der anhaltenden Bereitschaft von Frauen, Parteien mit patriarchalen Programmelementen zu wählen, sollten Sie, werte Frau Onken, NICHT länger auf die Männer und ihr Patriarchat schimpfen. Oder wollen Sie den Frauen das Armutszeugnis ausstellen, dass diese so blöd seien, keine Parteiprogramme lesen und unterscheiden zu können?

Ich freue mich über eine kleine (natürlich auch gern: eine größere J ) Rückmeldung.

Mit nach wie vor Respekt und freundlichen Grüßen

Veit Feger (Februar 07)

eMail:  Veit.Feger@t-online.de

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