Architektur- und Lebensstil-Ideale, die heute nicht sehr gefragt sind

Ich beobachte an mir immer wieder, wie sehr mir einige hoch gepriesene Kultur-Ausformungen fremd sind, insbesondere architektonisch als hochinteressant und verehrungswürdig gepriesene große Bauten, solche, die über Wohnhausgröße hinausreichen.

Gebäude, größer als Wohnungen (also vor allem  auch Kirchen und Schlösser), sind mir meist zu bombastisch.

Ich habe eine Aversion gegen große Häuser, gegen große Räume. Ich liebe überschaubare Zimmer und wenn schon große Räume, dann allenfalls Galerien, Bibliotheken oder Buchläden.

Um großräumige Architektur, gegenwärtige wie historische, wird in unserer Zeit viel Tamtam gemacht, ähnlich dem Tamtam ums Kochen und Dinieren (Man kann dies erkennen an den vielen Büchern zu diesen Themenbereichen).

Meine Lebensstil-Ideale liegen in einem privaten, leisen Bereich, bei einzelnen Menschen,  bei kleinen Gruppen, bei Büchern, bei „Kammermusik“, bei Landschaften mit Kleingärten und durchschnittlichen deutschen Ackerfeldern  - viel mehr als bei Gebirgen und Meeren.

Mir scheint, es gebe zwischen der niederländischen Kultur des 17. Jahrhunderts und meinen Lifestyl-Idealen  Parallelen.

Nicht sehr große Innenräume mit einzelnen Personen oder einigen wenigen Personen (oft Paaren) sind etwas typisch Niederländisches.

Was tun Menschen auf diesen niederländischen Gemälden,  wenn sie mehr tun als dasitzen?

Nun, viele der dargestellten Personen LESEN oder musizieren.

Man stelle sich vor: Wann werden HEUTE Menschen LESEND oder MUSIZIEREND dargestellt?? Wann möchte sich jemand von einem Fotografen als LESEND portraitieren lassen??

Wenn man die Häufigkeit des Portrait-Motivs „Lesende( r )“ oder „Musizierende( r )“ damals und heute vergleicht, wird einem ein großer Unterschied der Kulturideale erkennbar.

Das Frankfurter Kunstmuseum „Schirn“ stellte 1993 eine Gemälde-Ausstellung unter dem Thema „Leselust – Niederländische Malerei von Rembrandt bis Vermeer“ zusammen, inclusive einem opulentem Katalog.

Das Titel-Schlagwort von Ausstellung und Buch lautet, wie notiert: „Leselust“. - Das Wort „Lust“ lässt vermuten, in diesen Gemälden werde Spaß am Lesen dargestellt. Ich behaupte: Vorgestellt wird hier nicht so sehr ein LUSTvoller Vorgang, sondern Lesen als BEISPIELHAFTE Lebensweise, als Lebensweise, die sein SOLL. – Niederländer damals gefielen sich gern in der Rolle von Lesern oder eventuell Vorlesern.

Ob viele Niederländer wirklich gern gelesen haben, dessen sollte man sich nicht so sicher sein. Die Annahme indes: Wer ein bestimmtes Verhaltensideal habe, der lebe es auch eher, als wenn er ein anderes Verhaltensideal hat, diese Vermutung liegt nahe.

Lesen, Musizieren (einzeln oder in kleinen Gruppen) das ist ein Lebensstil-Ideal, das mir gefällt. Es mag vielleicht oberschichtig sein, aber es ist auf keinen Fall aggressiv. Es eignet sich auch lang nicht so sehr für demonstrativen arroganten Konsum wie beispielsweise das Fahren großer Fahrzeuge oder das Kleiden auffälliger Kleidung.

Zu meinem „interieuren“ Lebensstil-Ideal kann auch Partnerschaft gehören: die – meist erotische - Zugewandtheit zweier Personen. 

Mir kommt der Gedanke, es gebe einen Unterschied zwischen römischen und griechischen Paar-Darstellungen: Die Römer stellen ÄLTERE Paare dar, solche, die das Leben als PPFLICHT verstanden und den Kampf des Lebens jetzt gekämpft haben. - Aus dem antiken GRIECHENLAND kennen wir eher Darstellungen JÜNGERER Paare: Diese griechischen Paare sind eher AUFEINANDER orientiert und stehen nicht so beziehungslos nebeneinander wie die Paare, die wir auf zahlreichen RÖMISCHEN Grabstelen sehen.

Veit Feger

eMail:  Veit.Feger@t-online.de

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