Walter Janka

Die schönsten Ideale von Kommunisten werden von ihren PARTEIFREUNDEN zerstört

Wie komm ich auf das Thema „Walter Janka"?

Auf dem Ramsch-Tisch eines Ulmer Buchladens erwerbe ich für 1 Euro ein vierhundertseitiges Buch aus dem Aufbau-Verlag (erstmals 1992: als Taschenbuch 1999): Briefe, die zwischen einem einstigen Aufbau-Verlagschef und deutschen und ausländischen Schriftstellern in den Jahren 1950 bis 60 gewechselt wurden.

Unter diesen Schriftstellern, deren Bücher damals im Ostberliner Aufbau-Verlag erschienen, befinden sich „Erste Adressen", u. a. Thomas Mann, Hesse etc. Beigefügt ist dem Taschenbuch ein Biographisches Lexikon.

Ich lese einige Lebensläufe, voran jenen des Verlagsleiters Walter Janka, 1914 – 1994. Ich merke: ein ungewöhnlicher Lebenslauf.

Janka war ein Edelkommunist von jung auf, er nahm für seine Überzeugungen viele Nachteile in Kauf; er war über Jahrzehnte hin ein tapferer Mensch und engagierte sich für seine Ideale. Nach Jahren der NS-Haft, nach Vertreibung, Exil und jahrelang guter Arbeit in der DDR wird er von seinen eigenen Parteigenossen ins Gefängnis geworfen. Wenn ich richtig lese, war es das selbe Gefängnis, in das er 20 Jahre zuvor von den Nazis eingewiesen worden war. Und nach der „Wende" werden seine letzten Lebensjahre überschattet von einem Streit, den er per Buch und vor Gericht austrägt gegen einen der Mitverfolgten der 50er Jahre, Wolfgang Harich, ebenfalls einst jemand, der der Führungsgruppe um Ulbricht missliebig war.

Ich sammle per Internet und unter Verwendung eigener Bücher weitere Angaben über Janka. Ich muss feststellen, dass Janka lange Zeit so ziemlich vergessen war, vermutlich auch wegen der Inhaftierung und weil er nach der Entlassung gehalten war, nicht öffentlich aufzutreten (ich vermute: damit das seltsame Verfahren der regierenden Partei einem ihrer einst prominenten Mitglieder gegenüber nicht publik wird).

Nach der Entlassung aus der DDR-Haft darf Janka dank ausländischer Fürsprache als Film-Dramaturg arbeiten, er lebt still und leise in der DDR und dann, nach deren Ende, gerät er - letzter Hohn - in einen Streit mit seinen einstigen Ulbricht-kritischen Mitstreitern, vor allem mit dem Mitte der 50er Jahre ebenfalls geschassten prominenten KP-Mitglied Wolfgang Harich.

Vermutlich infolge der Inhaftierung und wohl auch, weil Janka nicht in erster Linie Autor, sondern VERLEGER war, wurde er über zwei Jahrzehnte hin ziemlich vergessen. Erst gegen Ende der DDR und in den Jahren danach, bis zu seinem Tod, erinnert man sich an ihn oder bringt er selbst sich in Erinnerung. Oder kommt in die Schlagzeilen, weil sein alter Freund Wolfgang Harich sich mit juristischen Mitteln gegen Inhalte von Jankas Autobiographie wendet.

Dass bemerkenswerte, verdiente Menschen erst spät (wenn überhaupt) in den Fokus von Zeitungs- und Buchautoren geraten, das beobachte ich des öfteren: Vor allem NS-Gegner, die zu Beginn des Dritten Reichs noch nicht schon berühmt waren und die ins Ausland flüchteten, gerieten in Vergessenheit und werden erst jetzt, von den NACHgeborenen der NS-Zeit, entdeckt, gewürdigt, teils auch ihre Texte erstmals ediert, ihr Leben dargestellt...

Zum Lebenslauf von Walter Janka

Walter Janka stammt aus einer "klassenbewussten" Chemnitzer Arbeiterfamilie. Er tritt mit 18 in die KP ein, ist mit 19 bereits Regionalleiter der KP-Jugend. Dann muss er erleben, dass sein älterer Bruder, Albert, damals jüngster Reichstags-Abgeordneter, gleich zu Beginn der Nazi-Ära inhaftiert und zu Tode gefoltert wird (Offizielle Todesnachricht damals: "Selbstmord").

Walter Janka selbst wird im Juni 1933 verhaftet. Er kommt für anderthalb Jahre ins Gefängnis und wird dann ausgewiesen.

Er geht nach Spanien, kämpft bei den Truppen der Republik mit, wird dreimal verwundet, flüchtet nach dem Franco-Sieg nach Frankreich und später weiter nach Mexiko.

Dort gründet er den erfolgreichsten aller deutschsprachigen Exil-Verlage, El libro libre, und ist bei der Gründung der Exil-Gruppe "Freies Deutschland" dabei.

Sein junger Verlag veröffentlicht ein damals berühmtes "Schwarzbuch" gegen die Verbrechen, die in NS-Deutschland verübt werden. - Anna Seghers‘ "Das siebte Kreuz" erscheint zuerst in „El libro libre" und wird dann allein in den USA hunderttausend Mal verkauft.

Walter Jankas Ehefrau Charlotte rückblickend: "Der Verlag hat ohne Geld angefangen, auf Subskriptionsbasis. Drei Dollar kostete damals ein Buch. Die Schriftsteller haben ihre Manuskripte ohne Honorar geschrieben. Der Einzige, der Honorar erhielt, weil es ihm materiell so schlecht ging, war Heinrich Mann."

Nach der Rückkehr in die DDR wird Walter Janka rasch Leiter des Aufbau-Verlags und der DDR-Filmproduktion. 1955 lädt Halldor Laxness, dessen Bücher in der DDR vom "Aufbau-Verlag" verlegt werden, das Ehepaar Janka nach Stockholm ein, zur Übergabe des Nobelpreises an Laxness.

1956 wird W. Janka verhaftet, 1957 zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt, insbesondere wegen Bildung einer "konterrevolutionären Gruppe".

EINER der Vorwürfe war gewesen, Janka habe den ungarischen Philosophen, Schriftsteller und Politiker Lukacs (einen Kritiker des Sowjet-Einmarschs in Ungarn) in die DDR holen wollen.

Geschehen war folgendes: "Zwei Tage nach dem Einmarsch der Sowjetpanzer in Budapest bitten Anna Seghers und der Schriftsteller und DDR-Kultusminister Becher Walter Janka dringend, den ungarischen Autor Georg Lukacs aus dem Hexenkessel herauszuholen. Becher offeriert dazu eigens seinen Westberliner Pkw samt Chauffeur, die nötigen Visa sowie US-Dollars. Janka erklärte sich bereit, diese gefährliche Aufgabe zu übernehmen. Ulbricht verbietet dieses Aktion. - In der Anklageschrift wird Janka vorgeworfen, er habe "das Haupt der Konterrevolution Lukacs in die DDR schmuggeln wollen."

Janka wird brutal verhört und unter üblen Bedingungen inhaftiert.

Entlassen wird er nach drei Jahren, 1960, vorzeitig, wohl infolge zahlreicher Proteste von Schriftstellern wie Halldor Laxness, Lion Feuchtwanger, Leonhard Frank und seitens der Familie Thomas Manns (Janka hatte als erster deutscher Verleger eine Gesamtausgabe von Thomas Manns Werken in zwölf Bänden initiiert). Nach Jankas Freilassung forderten die Witwen Katja Mann und Martha Feuchtwanger von der DDR-Regierung als Bedingung für eine Lizenz zur Verfilmung von Romanen aus den Federn ihrer Männer, dass Walter Janka bei der jeweiligen Filmproduktion mitarbeiten darf; im Filmabspann durfte aber, das behielt sich die Nomenklatura vor, der Name des Dramaturgen, Janka, nicht genannt werden.

Während des Prozesses gegen Janka im Jahr 1956 hatte Wolfgang Harich Janka beschuldigt, dieser habe Ulbricht ablösen und Stasi-Chef Mielke an die Wand stellen lassen wollen. Diese Aussagen geschahen unter massivem Druck.

Für Janka war es damals hart, zu erfahren, dass Weggefährten wie Anna Seghers, Bodo Uhse und Helene Weigel während des Prozesses im Publikum saßen, aber nicht zu seinen Gunsten auftraten. Es wird behauptet, Ulbricht habe diese Schriftsteller zur Präsenz bei dem Prozess verdonnert, um sie zu demütigen und um sie gerade durch diese (hingenommene) Demütigung an seine Herrschaft zu binden.

Auch Ehefrau Charlotte Janka wurde damals verhört und beruflich diskriminiert. Sie wurde schwer krank. Der 9-jährige Sohn André musste in ein Kinderheim, die Tochter zog zu Freunden.

Später, nach der Freilassung, wird Walter Janka zwar wieder in die Partei aufgenommen, darf auch bis 1972 als Dramaturg bei der DEFA arbeiten, wird aber nicht offiziell rehabilitiert, erst 1990, kurz vor Schluss der DDR. Diese Rehabilitation war wohl eine der letzten Taten der DDR-Justiz.

Im Herbst 1989, kurz vor der Mauer-Öffnung, wurden Passagen aus Jankas Memoiren in einem Ostberliner Theater unter ungeheurem Andrang öffentlich von dem DDR-Schauspieler Ulrich Mühe vorgetragen. Wegen des starken Publikumsandrangs wurde die Lesung damals per Lautsprecher ins Freie übertragen. 12 Tage später wurde die „Mauer" geöffnet.

Diese Lesung Jankas zählt zu den Tropfen, die das DDR-Fass zum Überlaufen brachten. Die Memoiren Jankas waren bereits unter dem Titel "Schwierigkeiten mit der Wahrheit" im (westdeutschen) Rowohlt-Verlag erschienen.

Der späte Streit zwischen Janka und Harich

1993 kommt es zum Konflikt zwischen Wolfgang Harich und Janka. Janka hatte in seinen Memoiren Harich wegen dessen Verhalten während der Verfolgung durch das Ulbricht-Regime kritisiert. Diese Kritik wird von Harich zurückgewiesen bzw. zu relativieren versucht. Dieser Streit wird in der Folge in den Medien verschieden bewertet, je nachdem, ob der jeweilige Beurteiler Walter Janka oder Wolfgang Harich näher steht. - Stefan Dornuf nennt in einer erst kürzlich veröffentlichten Zeitungsrezension von Harich-Texten die Kritik Jankas an Harich "rüde".

Wolfgang Harich selbst war ebenfalls betroffen von der Verfolgung durch Ulbricht: Er war in Haft von 1957 bis Ende 64 (seine Aussage gegen W. Janka vor Gericht 1957 hat ihm anscheinend nicht viel geholfen).

Harich fühlte sich auch NACH dem Ende der DDR noch eher der DDR verbunden als der Bundesrepublik: "Harich verweigert in einem Prozess in den 90er Jahren gegen führende DDR-Beamte eine diese belastende Zeugenaussage über die Umstände seiner Verhaftung im Jahr 1956. Er spricht der BRD das Recht ab, DDR-Unrecht juristisch zu verfolgen und die DDR-Vergangenheit aufzuarbeiten". (Ich frage mich: Sprach Harich BRD-Gerichten das Recht ab, NS-Vergehen zu verfolgen?)

Im Jahr 90/91 beginnt Harich gegen seinen früheren Mitstreiter Walter Janka einen Prozess wegen Verleumdung. Hintergrund: Infolge des Schauprozesses 1957 war es, wie schon erwähnt, zu Kontroversen über Harichs Rolle als Zeuge im Prozeß gegen Janka gekommen. Das Gerichtsverfahren wegen „Verleumdung" endete 1993 mit einem Vergleich, EIN Jahr vor Jankas Tod, ZWEI Jahre vor Harichs Tod: Janka musste künftig die Aussage unterlassen, Harich sei als Kronzeuge gegen ihn aufgetreten.

1993 veröffentlichte Harich die Schrift "Keine Schwierigkeiten mit der Wahrheit" als Erwiderung auf die ähnlich lautenden Memoiren Jankas ("Schwierigkeiten mit der Wahrheit").

Ebenso wie Janka trat Harich nach der Wende der PDS bei. Janka trat wieder aus, Harich blieb (soweit ich sehe) bis zu seinem Tod 1995 in der Partei.

Über den Streit Harich – Janka urteilt der Schriftsteller Gerhard Zwerenz, der beide Beteiligten gekannt hat, mit dem ominösen Satz: Das sei ein "Steinbruch für drei Shakespeare-Stücke".

Nach dem Tod Jankas schreibt sein Freund, der DDR-Schriftsteller Stefan Heym, einen Nachruf mit dem Titel: "Wie aus dem Chemnitzer Arbeiterjungen in der Schule des Lebens ein deutscher Denker ward, der seinen Traum vom menschenwürdigen Sozialismus im Herzen bewahrte."

Die TAZ zitiert im März 2006 erneut einen Text, den der DDR-Schriftsteller Günter Kunert zwölf Jahre zuvor, 1994, zum Tod von Walter Janka für die TAZ verfasst hatte. TAZ-Kunert damals: "Würden wir an ihm seine DDR-Zeitgenossen messen, wir müssten angesichts all der Jämmerlinge resignieren. Wenn es statt der 100.000 Spitzel und Stasi-Schurken nur 1000 Jankas gegeben hätte – es hätte mit jenem zweiten deutschen Staat besser gestanden und mit dem vereinigten sowieso."

2004, zum zehnten Todestag, heißt es in einer Radiosendung von Heike Schneider, ein - nicht mehr in Erfüllung gegangener - Wunsch des alten Janka sei gewesen, Autoren zu veröffentlichen, „die im sozialistischen Realismus als dekadent diskreditiert wurden."

Wie oben notiert, vermisste Janka ein Engagement Anna Seghers‘ zu seinen Gunsten während des Schauprozesses. Dazu heißt es in einer vor einigen Jahren erschienen Biographie dieser Schriftstellerin: Diese habe darunter gelitten, dass sie sich nicht engagierte; sie äußerte ihre Beschämung in der Erzählung "Der gerechte Ritter". Diese Erzählung wurde NACH ihrem Tod 1989 veröffentlicht.

Zur Verteidigung Seghers‘ gegen die Kritik unterlassener Solidarität wird angeführt, dass ihr Mann, Laszlo Radvanyi, während des Schauprozesses Janka belastet habe; hätte Seghers zugunsten von Janka gesprochen, wäre sie ihrem Ehemann in den Rücken gefallen. - Der DDR-Schriftsteller Stephan Hermlin kommentiert den damaligen Vorgang so: "Sie hat einmal geschwiegen, wo sie hätte sprechen sollen."

Veit Feger

eMail:  Veit.Feger@t-online.de

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