"Mein Iran. Ein Leben zwischen Revolution und Hoffnung"

Shirin Ebadi kennt nur einen unvollständigen Menschenrechtskatalog

Buchbesprechung von Veit Feger

Shirin Ebadi: Mein Iran. Ein Leben zwischen Revolution und Hoffnung, Blanvalet / Random House, Taschenbuch-Ausgabe November 2007 (Die amerikanische Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel „Iran Awakening. A Memoir of Revolution and Hope“ New York, ebenfalls Random House)

Als der iranische Imam Khomenei  im Jahr 1979, aus dem Pariser Exil kommend, in Teheran landete, war die Begeisterung im Lande groß. Auch ich dachte damals: Jetzt wird sich im Iran vieles zum Bessern ändern. – Ich erinnerte mich an die Anti-Schah-Demonstration 1967 in Berlin; ein großer Teil der sogenannten Studentenbewegung sympathisierte damals  mit den Schah-Kritikern in und außerhalb des Iran. 

Khomeini begann rasch mit Barbareien 

Nur wenige Tage nach der triumphalen Rückkehr des Imams in den Iran las ich in einer überregionalen Zeitung eine Meldung von wenigen Zeilen Länge, des Inhalts, Khomeini habe eine schärfere Verfolgung von Homosexuellen angeordnet.

Für die meisten politischen Kommentatoren in Deutschland (für durchschnittliche Zeitgenossen sowieso) war diese Nachricht nicht mehr wert als genau diese fünf überschriftlosen Zeilen (wenn überhaupt), fünf Zeilen, die ich damals in der FAZ oder der „Frankfurter Rundschau“ las.

Ich darf freilich behaupten: Von DIESEM Tag an war mir die weitere Entwicklung des Irans klar:  Das Land würde im besten Fall eine Art Sozialfaschismus werden. Aus der Geschichte des Dritten Reichs und anderer Diktaturen kannte ich das Herrschaftsverfahren: sexuelle Randgruppen herauspicken und verfolgen. Dieses Verfahren nützt  ein (fatales) Gemeinschaftsgefühl („wir sind die Guten, die anderen die Bösen“) und bindet die Mehrheit an ein Unrechtsregime. Selbstredend verwenden sozialfaschistischen Regierungen für die Rechtfertigung ihrer Verfolgungen Andersgestrickter religiöse Formeln, göttliche Eingebungen etc. etc.

Für mich als einstigen Anti-Schah-Demonstranten und als späteren Khomenei-Kritiker war die (seit November 07 auch als Taschenbuch vorliegende) Autobiographie der Friedensnobelpreisträgerin  Shirin Ebadi ein Buch, das ich lesen wollte. Ich begann zu lesen. - Gegen meinen wachsenden Widerwillen las ich dieses Buch aber  nur deshalb bis zum Ende, weil ich - angesichts der durchweg verehrenden Rezensionen, die ich im Internet bereits wahrgenommen hatte – meine dem Mainstream so gar nicht entsprechende Kritik GUT begründen will.  

Ebadi versteht sich als Fürsprecherin der  - im Iran – benachteiligten Frauen und Kinder. Ebadi versteht sich als Kritikerin des Mullah-Regimes, sie hat für ihre Tätigkeit als Rechtsanwältin zugunsten benachteiligter Frauen und Kinder viele Mühen, eine mehrwöchige Haft und sogar Lebensgefahr auf sich genommen. - Seit der Verleihung des Friedensnobelpreises wird sie weltweit als Frau des iranischen Widerstandes und als Menschenrechtskämpferin gefeiert.

Ebadi wird zur Kritikerin erst, als sie selbst betroffen ist

Ich fragte mich schon zu Beginn der Lektüre: Von WANN an, ab  WELCHER Stelle der revolutionären Entwicklung im Land wird diese zunächst zumindest Khomeini-begeisterte Frau eine Wendung zum Schlimmen in ihrem Heimatland sehen?

Wenn ich richtig gelesen habe, dann lautet die Antwort auf die genannte Frage: erst, nachdem das Regime mit seiner Frauenfeindlichkeit auch Ebadi selbst schädigte, indem sie sie aus dem Richteramt treibt, in eine Sekretärinnen-Stelle.

Homosexuelle Männer werden seit Jahrzehnten verfolgt.  

Die Menschenrechtsverletzung durch Verfolgung von Homosexuellen (entgegen der bis dahin im Land gültigen, unter dem westlich orientierten  Schah Rezah Palevi eingeführten Gesetzgebung) war einer der ERSTEN Befehlsakte des neuen Regierers. Diese sofort nach der Machtübernahme einsetzende Verminderung von Menschenrechten im Iran ist der Menschenrechtskämpferin Ebadi nicht eine EINZIGE Zeile wert, nicht eine einzige,  auf immerhin 340 Seiten der deutschen Taschenbuchausgabe.

Homosexuelle wurden aber nicht nur zu Beginn des neuen Mullah-Regimes verfolgt. Die Verfolgung hält (trotz  Interventionen aus dem Ausland, trotz des Friedensnobelpreises 2003 für Ebadi) an bis zur Gegenwart:  Im Jahr 2005, in dem Jahr, in dem die Autorin das vorliegende Buch geschrieben hat, wurden im Iran zwei Jugendliche, 16 und 18 Jahre alt, wegen eines homosexuellen Akts nach Monaten Haft hingerichtet. Zunächst wurden sie öffentlich vor einer johlenden Menschenmenge mitten in der großen Stadt Mesched ausgepeitscht und dann öffentlich gehenkt. Das höchste Gericht des Irans hatte zuvor die Verurteilung durch ein rangniedrigeres Gericht ausdrücklich bestätigt.

Ebadi verschweigt, dass viele Emigranten nur infolge Emigration überleben

Für Ebadi sind leider nur Frauen und Kinder, Journalisten und Schriftsteller  Menschen, deren Rechte verletzt werden können. Zu den Gruppen, die NIRGENDWO in ihrem Buch als Verfolgte genannt werden, zählen ETHNISCHE Gruppen wie die Kurden und die Armenier  und RELIGIÖSE Gruppen wie die Bahai. Eigentlich gehören zu den Benachteiligten auch die iranischen Juden. DREI Viertel des Bestandes von hunderttausend jüdischen Iranern im Jahr 1979 sind seit jenem Jahr ausgewandert. (Im Fall der Bootsflüchtlinge vor einigen Jahrzehnten  nannte man so etwas „Abstimmung mit den Füßen“. Man darf diesen Begriff auch im Fall der iranischen Juden anwenden.)

Shirin Ebadi bedauert in ihrem Buch zwar mehrfach die großen Verluste an gebildeten und beruflich qualifizierten Iranern infolge Auswanderung in den letzten Jahrzehnten. Sie schätzt die Zahl der Ausgewanderten auf vier Millionen. Aber von Emigration wegen religiöser und ethnischer Benachteiligung oder Verfolgung lesen wir nicht eine einzige Zeile in ihrem Buch. Dass die Auswanderung der vier Millionen eine deutliche Abstimmung mit den Füßen war, gesteht Ebadi nicht klar ein; der Leser wird durch den Duktus ihrer Darstellung eher zur pejorativen Deutung „Wirtschaftsflüchtlinge“ verleitet. Dabei hat man mehrfach in dem Buch den Eindruck, dass einige (oder viele?) Iraner nur deshalb überlebten, weil sie emigriert waren. 

Religiöse Minderheiten – die gibt’s bei Ebadi nicht

Ebadi erwähnt nirgendwo in ihrem Buch explizit, dass es  zu den frühen Aktionen des Mullah-Regimes, bereits 1979, gehörte, den Islam in seiner schiitischen Version zur Staatsreligion zu erklären. - Mitglieder der Bahai-Religion sind muslimisch  beeindruckte Menschen, die glauben, dass es auch NACH Mohammed legitimes prophetisches Reden von Gott gibt. Das hat zur Folge, dass sie für die Mehrzahl der Koran-Orientierten Apostaten, Abtrünnige sind. Sie sind daher im Iran schlechter als Christen, Juden und Zoroastrier gestellt. Letztere sind sogenannte Dimmis, Schutzbefohlene. Die Bahai gelten im Iran (verschärft, seit der Islam zur Staatsreligion erklärt wurde) als Apostaten. Was das bedeutet, ist aus anderen Ländern bekannt.

(Einige Internet-Siten zum Thema „Bahai im Iran“ :  http://www.bahai-einblicke.de/bahai-schulkinder-im-iran-misshandelt.html) http://www.bundestag.de/aktuell/hib/2006/2006_179/02.html

http://www.bahai.de/presse/iran/iran-uebergriffe-gegen-bahai-2007/

Obwohl Bahais sich von Schiiten durch die GLEICHwertung von Mann und Frau unterscheiden und obwohl sie daher der Frauenrechtlerin Ebadi eigentlich sympathisch sein müssten, lesen wir von ihnen im vorliegenden Buch, das in der englischen wie in der deutschen Ausgabe „IRAN“ als Titel-Wort trägt,  keine Zeile.  

Keine Rede von nationalen Minderheiten

Die Verfolgung der Kurden ist für Ebadi, wie erwähnt, ebenfalls kein Thema. Der Name dieser Bevölkerungsgruppe kommt, wenn ich richtig gelesen habe, an keiner Stelle der 340 Seiten der Taschenbuch-Ausgabe vor. (Eine von Kurden in Deutschland unterhaltene Internet-Site behauptet: „Im August 1979 verkündete Khomeini den Heiligen Krieg gegen die Kurden. Kurdistan wurde zum militarisierten Sperrgebiet, zu dem weder Journalisten noch ausländische Delegationen Zutritt haben. Die sunnitischen Moscheen wurden zerstört und die Jugendlichen in den Schulen umerzogen. Die kurdische Opposition ging in den Untergrund; immer wieder werden iranische Kurdenführer auch im Ausland Opfer von Mordanschlägen des iranischen Staatsterrorismus.“) Dass es eine Kurdenverfolgung im Iran gebe, davon hören wir bei Ebadi nichts, obwohl es heißt, ihr Buch sei für ein westliches Publikum verfasst (Im Iran wird es nicht veröffentlicht).

Die zustimmenden, gar  bewundernden Rezensionen des Buchs, die man in englischen Publikationen bereits 2006 und die man nach Erscheinen der DEUTSCHEN Hardcover-Ausgabe im Frühjahr 2007 in deutscher Sprache lesen kann, sind für mich nicht nachvollziehbar. - Ich wende gegen Ebadi grundsätzlich ein: Menschenrechte gelten nicht nur für Frauen und Kinder, sondern auch für Männer oder für Angehörige einer anderen Ethnie oder Religion. Menschenrechte sind, wie es so schön heißt: unteilbar. Werden sie nur für einzelne Gruppen einer bestimmten Gesellschaft in Anspruch genommen, wird ihre Rechtfertigung als MENSCHENrechte brüchig.

Keine Fairness gegenüber den früheren Herren

Ebadi äußert sich in dem Buch mehrfach kritisch über die Schah-Zeit.

Nun jagen die mit Khomeini an die Macht gekommenen Mullahs Frau Ebadi recht früh aus dem Richteramt, weil sie weiblichen Geschlechts ist. -  Wann aber hatte sie dieses Amt erhalten?! Unter der SCHAH-Regierung und sogar bereits als junge Frau, nicht erst in höherem Alter. - Obwohl Ebadi auch nach geltendem Recht ungesetzliche, ja barbarische Handlungen unter dem Mullah-Regime erlebt und diese in ihrem Buch darstellt (Opfer dieser Gewalt sind Frauen, Kinder, Journalisten, Schriftsteller), würde sie die Tatsache „Richteramt unterm Schah -  Verjagung aus dem Amt unter den Mullahs“ nie veranlassen, ihr strenges Urteil über die Schah-Zeit an irgend einer Stelle des Buchs einzuschränken. Eine solche Fairness wäre ihr aber gut angestanden: ein Rest Dankbarkeit und Anerkennung für die größere Rechtsförmigkeit dieser sicher ausbeuterischen monarchischen Regierung und der zu ihr gehörenden Gruppe.

Es wäre Shebadi auch gut angestanden, noch einen anderen Vergleich zwischen dem Ausmaß an  Rechtsstaatlichkeit unterm Schah und unter den Mullahs zu ziehen und die Zahl der Gefolterten und Ermordeten unter den beiden Regimen zu vergleichen. Obwohl die Autorin nur selten Zahlen nennt, gewinnt man aus diesen wenigen Zahlen den Eindruck, dass die Unterdrückungsmaschine unter den Mullahs weit kräftiger arbeitete und arbeitet als die des berüchtigten Geheimdienstes Savak unter dem letzten Schah des Landes.

Blauäugig, was die Offenheit der Schia gegenüber unüblichen Koran-Auslegungen betrifft

Ebadi versteht sich selbst als Muslimin. Sie hält einen modernen Islam mit dem westlichen Verständnis der Menschenrechte für vereinbar, jedenfalls den Islam in seiner schiitischen Version, und dies aus folgendem Grund: Der schiitische Islam lasse auch in der GEGENWART noch eine Interpretation der Koran-Texte zu (anders als die Sunniten). Man könne also immer wieder irgendwelche neuen Deutungen der alten Texte vorbringen.. Die Auslegbarkeit des Korans gelte nicht als abgeschlossen. - Ebadi ist sich dabei des NACHteils dieser offen gehaltenen, nicht abgeschlossenen Auslegbarkeit des Korans bewusst; angewendet auf das Thema „Menschenrechte“ bedeutet das, dass Menschenrechte, die die meisten Abendländer inzwischen für unbezweifelbar halten, es für einen schiitischen Muslim noch lange nicht sein müssen. Trägt jemand wie Ebadi eine modernistische Koran-Auslegung vor und findet diese Auslegung eine gewisse Zustimmung, so kann dieser modernistischen Auslegung ebenso gut ein „Fundi“ wieder eine HERKÖMMLICHE Deutung entgegenhalten.

Für die SUNNIten gilt laut Ebadi jener etwas flexiblere Umgang mit der überkommenen Religion NICHT. Ebadi enthält sich  - ich vermute:: klugerweise  - einer Diskussion über die Menschenrechtsfähigkeit der SUNNA.

Indes, auch wenn Ebadi glaubt, sie könne eine menschenfreundlichere Form des Umgangs mit Frauen und Kindern innerhalb der schiitischen Koran-Auslegung empfehlen und fordern, so finden wir bei ihr noch lang keine Diskussion über die Verletzung der Menschenrechte von APOSTATEN und Menschen ANDERER sexueller Orientierung.

Dass die Einführung eines Kleidungszwangs wie des Shadors oder die Bestrafung von unverheirateten Frauen und Männern, die sich irgendwo treffen, eine Einschränkung von Menschenrechten (auf freie Wahl  der Kleidung bzw. auf freie Wahl des Umgangs) sind -  so weit reicht die Menschenrechtsbegeisterung von Ebadi nicht. Im Iran legt sie brav ihren Shador an. Punkt.

Das bekannteste Modell der „Veränderung durch Anpassung“

wurde vor Jahren blutig gestoppt

Nun mag man einwenden, Ebadi wolle in ihrem Heimatland etwas ändern; da müsse sie eben Kompromisse schließen, da könne sie keine Totalopposition betreiben, sie nähme sich sonst jede Änderungschance.

So ähnlich argumentiert auch  Ebadi selbst. Aber sie hält sich nicht an diese Begründungslinie, sondern widerspricht sich selbst, indem sie den Ende der neunziger Jahre gewählten Regierungschef Khatami kritisiert. Khatami war, weil er „gegenüber dem islamischen System“ gegenüber loyal war, „der ideale Vertreter, um die iranische Gesellschaft zu liberalisieren, ohne das Regime zu schwächen" (237). Aber: „Khatamis Anderssein nutzte ironischerweise dem System.“

Ebadi zählt auf, was viele Iraner nach dem „erdrutschartigen Sieg“ Khatamis von dessen neuer Regierung erwarteten: unter anderem, dass „diejenigen, die den Hinrichtungskommandos den Schießbefehl gegeben hatten, sich endlich vor Gericht würden verantworten müssen.“ 237.

Wie wenig Khatami mit seinen Änderungsbemühungen bewirkte, machten ihm die wahren Herren des Landes zunächst durch das Verbot einer  kritischen Zeitung deutlich. Es kam zu einem Aufstand vor allem von Studenten gegen die immer noch anhaltende Einschränkung von Freiheitsrechten. Und was tut Ebadi? Sie kritisiert die aufständische Jugend, diese lasse sich „wie junge Leute überall auf der Welt leicht durch den Sirenengesang des politischen Protestes verführen“ („politischer Protest“ wird von Ebadi mit „Sirenengesang“ assoziiert. Die Kritiker haben sich „verführen“ lassen! 243.) Ich finde diese Seiten ihres Buchs, in denen sie über den Aufstand der Khatami-Anhänger gegen die Mullahs erzählt (230-250), besonders enttäuschend.

Was viele Europäer ohne Ebadi schon vergessen hätten

DANKBAR bin ich Ebadi, dass sie mich an einiges erinnert, was ich vergessen oder gar verdrängt habe: den Abschuss eines iranischen Passagierflugzeugs von einem US-Kriegsschiff aus im Juli 1988. Alle 290 Insassen starben (142) .  – Auch wenn man den Ärger der durch die Botschafts-Belagerung gedemütigten US-Amerikaner verstehen kann und insofern auch die mangelnde Kritik an dem Angriffskrieg des Irak gegen Iran, schlimm ist schon, dass diese Parteinahme für den Irak und gegen den Iran soooo weit ging, dass die USA (wie auch westliche Staaten) nicht (oder viel zu leise) gegen die Verwendung von Giftgas durch irakische Truppen protestierten (ganz abgesehen davon, dass diese Giftgasgeschosse von westlichen Industriestaaten produziert worden waren).

Kritik im Detail. 

Im folgenden eine Reihe für mich befremdlicher Äußerungen und Wertungen der Autorin, dargestellt nach der Abfolge im Buch.

Shirin Ebadi erzählt, ihre Mutter hätte gern Ärztin werden wollen. Dass sie diesen Berufswunsch sich nicht erfüllen durfte, habe die Mutter lebenslänglich traurig gestimmt, obwohl sie einen selten netten Mann und Kinder hatte.

Die Mutter durfte nicht Medizin studieren, weil „ihre Familie diese Möglichkeit aus Gründen, auf die meine Mutter kaum Einfluss hatte, verworfen“ (S. 22) hatte. – Meine Empfindung: Wenn es um ihre eigene Familie geht, ist Ebadi noch vorsichtiger als in sonstigen Situationen. Welch anderen Grund kann es in einer reichen muslimischen Familie gegeben haben, die Tochter NICHT studieren zu lassen, als die Sorge um deren „Ehre“. Wenn Ebadi ihre Forderung nach mehr Rechten für Frauen ernstgenommen hätte, hätte sie auch mit ihrer eigenen Familie ins Gericht gehen müssen. Im vorliegenden Fall waren leider nicht ein bösartiger, brutaler Ehemann und ein traditionalistisches Mullah-Regime das Problem,  sondern ihre an sich rechtschaffenen Großeltern, die in überkommenen, im Effekt aber menschenfeindlichen Moralvorstellungen befangen waren.

Ich gewann auch an anderen Stellen des Buchs den Eindruck:  Ebadi ist erst dann richtig betroffen, wenn ihre eigenen Angehörigen beschädigt werden. Sie berichtet von der Hinrichtung ihres Schwagers Fuad (148): „Es gibt kein Gesetz mehr, dachte ich, und ein Menschenleben ist nichts mehr wert.“ – Als ob die hier berichtete Hinrichtung, zehn Jahre nach der Machtergreifung durch Khomeini und seine Anhänger,  noch ein neuartiges Phänomen im Lande gewesen wäre.

Wie wichtig individuelle Betroffenheit für das Handeln von Ebadi ist, bezeugt sie selbst, wenn sie an anderem Ort (197) schreibt: die Hinrichtung des Schwagers Fuad habe sie „zum ersten Mal mit der Wucht des Todes konfrontiert“.

Spätestens nach der Hinrichtung ihres Schwagers hätten Ebadi auch ihre Kritik an den Auswanderern ändern müssen und zugeben: Infolge der EMIGRATION konnten viele von ihnen überleben.

Wie man den Charakter der Verschleierung verschleiert statt benennt  

Resa, 1926 von sich selbst zum  Schah des Iran gekrönt, verbot den Frauen das Tragen von Schleiern. Ebadi nennt den Schleier „das Symbol des Jochs der Tradition“. - Welch schöner Name für eine unterdrückende Vorschrift! - Nur wenige Zeilen später ist Ebadi hingegen recht direkt: Dem Schah wirft sie vor,  er habe mit dem Schleier-Verbot  den Kampf zur Einschränkung des Einflusses der Geistlichkeit „an der Front der Frauenkörper“ (24) ausgetragen.

Unreflektiertes Oberschicht-Gefühl  

Des öfteren hatte ich bei der Lektüre von Ebadis Buch die Empfindung: Sie ist reicher Leute Kind von Geburt an und „ausgestattet“ mit dem beschränkten Einfühlungsvermögen von Menschen dieser Herkunft (was der deutsche Schriftsteller Brecht so formulierte: „aufgewachsen in den Gewohnheiten des Bedientwerdens“).

Die Richtigkeit meiner Empfindung wird unter anderem von folgender Passage bestätigt, in der Ebadi das Leben  „in den meisten iranischen Familien“ (29) schildert: Da werden Jungens „von einer Schar von Tanten und weiblichen Verwandten gehätschelt und verwöhnt.... Ihr Ungehorsam blieb unbeachtet und wurde sogar gelobt,  und ihre kulinarischen Vorlieben wurden zur Hauptsorge der Köche“.  Man staune: „der Köche“! Wie viele iranische Familien konnten sich eigene Köche leisten? – Aber aus dem Buch erfahren wir: Die Eltern von Shirin Ebadi hatten mindestens vier Angestellte.

Über ihre Studienzeit Anfang der 70er Jahre erzählt uns Ebadi: „Die Studenten der Universität Teheran kamen aus der Mittelschicht oder der Arbeiterklasse.“ (40). Diese Behauptung braucht nicht kommentiert zu werden. 

„ehrenhaft“ – was ist das? 

Ohne jedes Zögern schreibt Ebadi, das Freizeitverhalten von Mädchen wurde im Gegensatz zu dem von Jungen ziemlich eingeschränkt, damit sie „ehrenhaft und wohlerzogen“ blieben (29). Was „ehrenhaft“ ist, wird im gesamten Buch nicht erläutert, obwohl uns die Autorin sonst genügend Erklärungen und Erläuterungen für viele Behauptungen liefert. Aber über so etwas wie „Ehrenhaftigkeit“ lässt sie sich nicht aus.

„Ehrenmorde“ kommen bei Ebadi übrigens nicht vor.

Wo vom Islam geredet werden müsste, wird ein westlicher Ausdruck eingeführt

„Die iranische Kultur wurde (Mitte der 70er Jahre) noch immer vom Patriarchat beherrscht,“ schreibt Ebadi (47). Wie wärs, wenn sie formuliert hätte: „das männliche Geschlecht erfreute sich einer religiös gestützten Überbewertung“? 

Mullahs – die Wundermenschen im Iran

„In unserer Geschichte (d.h. der des Irans) gab es unzählige Beispiele für das erfolgreiche Eingreifen der Mullahs“ (in die Politik) S. 60.  Ebadi nennt nur EIN einziges Beispiel für jenes „erfolgreiche Eingreifen“, ein Beispiel, über dessen argumentativen Wert ich nichts sagen kann: 1906 hätten die Mullahs eine sozialkritische Gruppe unterstützt, die eine „gesetzgebende Körperschaft“ und eine „Verfassung nach europäischem Muster“ forderte.

Wie rasch sich das Bewusstsein ändern kann 

Ebadi bekennt sich (S. 61) als entschiedene Anhängerin von Khomeini, bevor dieser an der Macht war. Khomenei habe eine Opposition dargestellt, „die ihren Kampf gegen Missstände  im Gewande der Religion führte“.

Als der Schah am 16. Januar 1979 aus dem Iran flüchtete, habe sie das Gefühl gehabt, „eine Würde wiedergewonnen zu haben, von der viele von uns bis vor kurzem nicht einmal gewusst hatten, dass sie uns verloren gegangen war.“ (64)

Darf sich die Mullah-Revolution auf europäische Revolutionen berufen?

Ebadi erlebt 1979 die revolutionären Aktionen von Khomeini-Anhängern, darunter unübliche Aktionen wie die Belagerung der US-Botschaft über viele Monate hin. S. 78 rechtfertigt Ebadi diesen unschönen Vorgang damit, dass es hier „wie bei allen Revolutionen“ zugegangen sei.  Sie zitiert in diesem Zusammenhang die Französische und die Oktoberrevolution.  Sie schreibt aber nichts davon, dass die Oktoberrevolution bereits seit zwanzig Jahren auf den Kehrichthaufen  der Geschichte gespült ist und dass die gewiss blutige und streckenweise gesetzlose Französische Revolution immerhin eine bis heute viele Menschen (auch in der Dritten Welt) beeindruckende „Erklärung der Menschenrechte“ hinterließ, wie wir sie aus dem Iran auch nach bald dreißig Jahren Revolution NICHT kennen. Die beiden genannten Revolutionen verstanden sich übrigens au fond als antireligiös.

An anderer Stelle rechtfertigt Ebadi die Belagerung der US-Botschaft in Teheran ab November 1979 als „verspätete Rache“ für die Absetzung des Ministerpräsidenten Mossadegh 1953 durch den von US-Agenten unterstützten Schah. Kurios ist an dieser Entschuldigung: Viele Botschaftsbelagerer von 1979 waren 1953 noch nicht einmal geboren, geschweige hatten sie 1953 den die Nation demütigenden Akt der Mossadegh-Absetzung miterlebt.  

Wo trat Khomenei für Freiheit ein?

Ebadi behauptet von den Revolutionären des Jahres 1979, viele von ihnen seien in den 90er Jahren zu der Erkenntnis gekommen, die Revolution sei „von ihrem Kurs abgekommen, habe das Ideal der Freiheit und Unabhängigkeit aus dem Blick verloren“ (84). Ich frage: WO wurde das „Ideal der Freiheit“ im Iran ab 1979 ausdrücklich gefordert und gefeiert? – Einen Beleg für diese sehr steile Behauptung finden wir bei Ebadi nicht. Die Kritik Khomeinis am Schah-Regime betraf die Verschleuderung von Steuergeldern, während das Volk darbe, sie betraf den öffentlichen Genuss von Alkohol durch Mitglieder der Schah-Familie.

Wie Ebadi ihre eigene Schlechterstellung als Frau infolge eines neuen Rechts abwendet

Was Ebadi dem neuen islamischen Recht vorhält, ist, dass Frauen jetzt vor Gericht schlechter dastehen als Männer (geringere Entschädigungshöhe; schwächere Testierkraft;  faktische Unmöglichkeit, eine Scheidung durchzusetzen), die  Steinigung von Ehebrecherinnen, das Abhacken von Diebeshänden. Die letzteren beiden Neuerungen werden nur sehr am Rand erwähnt. – Das wars.

Ebadi erzählt ausführlich, was sie tat, um Nachteile für SICH SELBST infolge der neuen Gesetzgebung zu verhindern: Sie brachte ihren Mann dazu, einen Ehevertrag zu unterschreiben, der ihr genau jene Rechte wieder zugestand, die ihr die neue Gesetzgebung genommen hatte (91f). Es ging ihr vor allem darum, dass ihr Mann nicht (wie ihm das neue Gesetz erlaubte) weitere Frauen nehmen konnte und dass im Fall einer Ehescheidung nicht ihm als dem Vater automatisch die Kinder zufielen.

Was von der angeblichen Interpretationsoffenheit des Koran zu halten ist

 

Welch hohe Bedeutung der Religion im Iran zukommt, gesteht die Autorin wohl eher unabsichtlich ein in folgender Passage zum Jahr 1980: „Die Revolutionäre“ (hier und in ähnlichen Fällen ist so gut wie nie von Khomeini die Rede) „schienen jeden Tag ein neues ungerechtes und willkürliches Gesetz zu verabschieden, und niemand wagte es, dagegen  zu protestieren, um nicht als islamfeindlich abgestempelt zu werden.“ (95) – Wenn Ebadis Behauptung „in der Schia sind Koran-Sätze IMMER interpretierbar“ richtig gewesen wäre, dann hätte damals (und wohl auch in der Gegenwart) niemand Angst haben müssen, als „islamfeindlich“ eingestuft und vor allem als Islamfeind  „BEHANDELT“ zu werden, wenn er Scharia-Vorschriften anders interpretiert. – Im Schlusskapitel bekennt sie nochmals ihre Überzeugung, dass „nicht die Religion die Fessel der Frauen ist, sondern das selektive Diktat derer, die sie von der Welt abgeschlossen sehen wollen.“ (326). Wie man nach all den hier berichteten Vorfällen noch dieser Verteidigung des Islam huldigen kann!

 

Ebadi beklagt, „die Revolutionäre“ (nicht etwa: Khomeini) hätten „in ihrer Hierarchie der Prioritäten“ „die Rechte der Frauen grundsätzlich an letzter Stelle“ gesetzt (96). – Mein Kommentar: Wenn andere benachteiligte Gruppen nicht wahrgenommen werden, geraten die Frauen rasch auf Platz Z.

 

Wenn es sich um Ausländer handelt, ist alles einfacher

 

Der irakische Diktator Saddam Hussein begann im September 1980 einen Angriffskrieg gegen den Iran. Hussein wird als „brutaler Tyrann“ bezeichnet (102). Ich frage: Was war Khomeini?

 

Der Krieg soll unterwürfiges Frauen-Verhalten rechtfertigen

 

Bald, nachdem Khomeini und seine Anhänger an der Macht sind, verbieten sie Frauen die Barhäuptigkeit. Ebadi: „Damals wäre genau wie heute eine beträchtliche Anzahl von Frauen ohne Kopftuch herumgelaufen, wenn man ihnen die Wahl gelassen hätte. Doch die Kriegsjahre forderten uns zum geduldigen Ertragen und nicht zum Nachdenken auf.“ (121). – Für Ebadi entschuldigt der Krieg, dass Frauen sich nicht um ihre Freiheitsrechte kümmern.

Aber das Buch wird noch erstaunlicher: „Der Zorn der Frauen über den ihnen aufgezwungenen Hejab (ein Symbol der allgemeine Beschneidung ihrer Rechte) war noch nicht deutlich in ihr Bewusstsein vorgedrungen.“ – Meine Meinung dazu: Ebadi macht sich nicht klar, dass viele Frauen auch mit ihrer Benachteiligung und Unterdrückung einverstanden sind. Religiöse erhalten allüberall Unterstützung nicht nur von Unterdrückern, sondern auch von Unterdrückten.

 

Liebe ist, wenn man jemand für tot ansieht und so behandelt

Aus einigen Passagen (S. 136 f) gewinnt man den Eindruck, dass Ebadi eine geradezu fanatische Nationalistin ist. Obwohl sie weiß, wieviele Menschen von den neuen muslimischen Herren des Landes gefoltert und getötet wurden, ist sie auf Auswanderer schlecht zu sprechen. . Die seien für sie tot. Sie schreibe denen, auch wenn sie um Briefe bäten, keine Briefe: „Mit einem Toten würden Sie sicher nicht korrespondieren oder?“ (137). Dabei wären zahlreiche Emigranten ECHTE Tote geworden, wären sie im Land geblieben. –

Damit das ganze etwas besser aussieht, benennt sie ihre Distanz als „Übermaß an Zuneigung“ (136). Das mag verstehen, wer will.

Im Zusammenhang mit ihrer Auslandsreise zur Entgegennahme des Friedensnobelpreises gewinnt man zudem den Eindruck, dass Ebadi froh über die Hilfe von Emigranten ist.

Der Zusammenhang von Religion und Brutalität

Religiöse (d.h. hier: moslemische) Ansichten der Iraner erhöhen die Brutalität gegenüber anderen Menschen. Das geht aus folgender Schilderung von Zuständen in staatlichen Gefängnissen Anfang der 90er Jahre hervor. Frauen, die als Regimegegnerinnen galten, „wurden angeblich vor der Hinrichtung vergewaltigt, um sicherzugehen, dass sie auch verdammt wurden, denn Jungfrauen kamen, wie es hieß, direkt in den Himmel.“ (152)

Bestrafung über den Tod hinaus

Ebadi besucht die Gräber von hingerichteten Regime-Gegnern. Diese durften in einer Ecke des offiziellen großen Friedhof der Stadt Teheran bestattet werden, nicht hingegen Kommunisten, „denn das Regime lehnte es ab. Atheisten oder Abtrünnige zusammen mit Muslimen zu beerdigen. Ihre Gräber befanden sich in einem verlassenen Gebiet im Südosten Teherans.“ 152.

Was soll man von einer Frauenrechtlerin erwarten, die Allah preist?

Im Zusammenhang mit diesem Sonderfriedhof taucht - wie mir scheint, das einzige Mal im GESAMTEN Buch – das Wort „Abtrünnige“ auf. Das MENSCHENRECHT der Religionsfreiheit, das heißt: das Recht, eine Religion zu VERLASSEN,  ist KEIN Thema für Shirin Ebadi. Wie sollte es das auch sein, wenn sie nach der Rückkehr von der Friedensnobelpreisverleihung auf dem Teheraner Flughafen beim Verlassen des Flugzeugs den zigtausend ihr zujubelnden Menschen, vor allem Frauen, stolz „Allahu akbar“ – Allah ist der Sieger“ entgegenschreit (und das in ihrem Buch VOLL STOLZ erzählt! S. 327). Sie selbst stellt als Folge fest: „Alle, vom Flughafenpersonal bis zu den tausenden Umstehenden, erstarrten vor Überraschung.“ Ich frage: Warum wohl?

Was so schlimm ist wie der Verrat der Nation ans Ausland...

Der Zusammenhang von Islam und Brutalität zeigt sich deutlich auch an einer Stelle wie der folgenden: Ein Richter (zugleich ein Geistlicher) wirft einer angeklagten Frau namens Soraya (eine Freundin Ebadis) vor, sie habe Sex mit den Männern ihrer Umgebung gehabt.  – Den zunächst angestrebten Nachweis der Zugehörigkeit der Angeklagten zu einer regimefeindlichen Organisation hatte der Mullah-Richter nicht führen können, aber „dann konnten sie“ (die Frau und die Männer) „zumindest dafür bestraft werden,“ dass sie sich über das islamische Recht hinweggesetzt haben, „indem sie, unverheiratet und nicht verwandt,“ „zusammen in der Öffentlichkeit auftraten.“ (163) – Man bedenke: Diese Bürger hatten noch nicht mal Sex miteinander gehabt, sie waren nur „zusammen in der Öffentlichkeit aufgetreten“

Der fürsorgliche Geist der Scharia

Wir erfahren von Ebadi bemerkenswerte Details über die Scharia, wie sie im iranischen Gesetz seit Khomenei verankert wurden: Wenn jemand ausgepeitscht werden soll, dann hat der Ausführende  „einen Koran unter dem Arm zu halten, um die Schläge abzuschwächen. Denn dem Geist“ (man beachte: „Geist“ !) „der Scharia zufolge liegt die abschreckende Qualität des Auspeitschens darin, das Opfer zu erniedrigen, und nicht darin, ihm Wunden zuzufügen.“ - Ich wundere mich da nur, dass Ebadi bei diesen Sätzen nicht bereits in Tränen ausbricht.

Eine Seite weiter beklagt sich Ebadi ausgerechnet über die ERNIEDRIGUNGEN, die damals von den sogenannten „komitehs“ sehr vielen Menschen zugefügt wurden. „Fast jeder Iraner hatte einen Verwandten oder Freund, der im Krieg oder während der Hinrichtungen von MKO-Mitgliedern getötet worden war, und jeder kannte auch einen ihm Nahestehenden, den das „komiteh“ festgenommen, ausgepeitscht oder auf irgendeine Weise in der Öffentlichkeit seiner Ehre beraubt hatte.“ 165 – So, als ob die ÖFFENTLICHKEIT und damit ERNIEDRIGUNG nicht ein zentrales Element der Scharia-Justiz wären.

Gab es jemals eine Bestrafung krimineller Richter?

Nirgends lesen wir irgend ein Wort davon, ob jene komiteh-Mitglieder später jemals für ihre Handlungen zur Rechenschaft gezogen wurden. Man muss annehmen: Eine Bestrafung von Übeltätern liegt außerhalb des Horizonts von Ebadi. Natürlich kann man zu ihrer Entschuldigung annehmen, dass sie nach einer solchen Forderung („Bestrafung krimineller Richter“) kein langes Leben mehr hätte. Aber aus genügend Stellen geht hervor, dass die Maxime Ebadis oft genug ganz selbstverständliche! Anpassung ist, so etwa, wenn sie beiläufig berichtet, dass sie und ihre skifahrenden Töchter eben diesen Sport ausüben durften, weil sie „dabei stets mehrere Schichten Kleidung“ (166) übereinander trugen. Für mich als Leser ihres Buchs bedeutend solche Kleidungsvorschriften ein weiteres Beispiel für den engen Zusammenhang von Islam und Leibfeindlichkeit. 

Ist die große Zahl weiblicher Studenten ein gültiges Argument? 

Ebadi hält es für ein Plus der islamischen Republik, dass eine bessere Schuldbildung inclusive Studium auch bei Mädchen gefördert wird. Sie gibt aber an anderer Stelle zu, dass „obwohl mehr Frauen als Männer eine Ausbildung gemacht haben, ... die Zahl arbeitsloser Frauen dreimal so hoch wie die arbeitsloser Männer" ist (178). Man darf annehmen, dass nur der große und frühe Krieg gegen den Aggressor Irak, ein Krieg, in dem viele junge Männer an die Front gerufen wurden und viele von ihnen starben, den FRAUEN den Weg in die Hochschulen erleichterte (ein Phänomen, wie wir es aus dem ebenfalls frauenrecht-feindlichen Nationalsozialismus während des Kriegs oder aus dem mehrheitlich islamischen Palästina während der Intifada kennen).  

Die Rettung der Familienehre kommt teuer  

Ein weiteres Beispiel für die eigenartige Attraktivität, die Sexualität auf den Islam ausübt, so wie Sexualität früher und teils auch heute noch auf Christen, auf französische Revolutionäre und auf Nationalsozialisten: Ebadi berichtet von einem Justizfall (186), in dem eine Familie, weil die Tochter vergewaltigt worden (und dann ermordet worden) war, nur dann in ihr Heimatdorf zurückkehren kann (ohne der allgemeinen Verachtung und Feme zu verfallen), wenn die Vergewaltiger hingerichtet sind. Deren Hinrichtung scheitert aber daran, dass die Angehörigen der vergewaltigten und ermordeten Tochter die Hinrichtung der Vergewaltiger und Mörder laut Richterspruch BEZAHLEN sollten, dies aber wegen ihrer Armut nicht konnten. Die Pflicht zur Finanzierung der Hinrichtung galt, obwohl die Vergewaltiger und Mörder rechtskräftig zur Hinrichtung verurteilt waren.  

Noch ein „reizvolles“ Zitat über Sex und Islam: „Die Familienehre hängt von der Tugendhaftigkeit der Frauen ab, und nur die Hinrichtung der Täter konnte die Ehre wiederherstellen.“  187. Ich füge hilflos zynisch an: Dabei spielt dann das LEBEN der Frau gar keine Rolle mehr.

Das oben erwähnte Verfahren wegen Vergewaltigung und Ermordung wurde infolge der Bemühungen von Ebadi  neu aufgerollt -  und die beiden Vergewaltiger wurden diesmal FREIgesprochen!

Wir erfahren bei Ebadi nicht, was aus der Familie der Ermordeten wurde, einer Familie, die in Teheran um Spenden zur Finanzierung der Hinrichtung der Vergewaltiger gebeten hatte und die solang nicht in ihre Heimat zurückkehren wollte, solang das nicht geschehen war. – Da die sehr wahrscheinlichen Täter freigesprochen wurden, wurde ja die „Ehre der Familie“ nicht wiederhergestellt.

Selbstbefriedigung ist eine schwere Sünde.

Deutlich geredet wird davon nicht

Noch ein Beispiel, ein besonders bitteres, für die Faszination, die die menschliche Sexualität auf den Islam (übrigens auch auf Juden- und Christentum) ausübt.

Ebadi vertrat als Rechtsanwältin eine getrennt lebende Mutter gegen den Vater (der landesüblich als VATER sogleich das Sorgerecht für die gemeinsame Tochter erhalten hatte). Der Mann hatte seine kleine Tochter im Verein mit seinem jungen Sohn (aus anderer Ehe) zu Tode gebracht.

Vor Gericht trug Ebadi vor, das Kind habe „begonnen, sich zu berühren, und dass ihr Stiefbruder sie, als er sie mit den Händen zwischen den Beinen fand, so heftig getreten hatte, dass ihr kranker Körper quer über den Boden geflogen war“. (204) Folge: schwere Gehirnerschütterung und einige Stunden später der Tod des kleinen Mädchen.

Ich musste zunächst den ersten Satz Ebadis mehrfach lesen, weil auch Ebadi die Verklemmtheiten ihrer Herkunft und ihrer Religion mitträgt. Sie schreibt nicht: „das Mädchen berührte sich an seinem Geschlechtsteil“ und auch im folgenden Satz berührt sich das Mädchen nur „zwischen den Beinen“.

Man kann erschließen: Selbstbefriedigung ist (wie in den meisten christlichen Gruppierungen) kein natürlicher Vorgang, sondern eine schwere Sünde. Sie rechtfertigt nach Ansicht der Mitglieder solcher MENSCHENFEINDLICHEN Religionen klare und pralle Bestrafung.

Der Vater, der sein Töchterchen lange Zeit misshandelt und hungern hatte lassen, wurde zu grade mal einem Jahr Haft verurteilt.  Weniger mitleidig war das Gericht mit dem Stiefbruder: Er wurde zum Tod verurteilt. Aber dann wurde die Hinrichtung mit Zustimmung der leiblichen Mutter des kleinen Mädchens AUSGESETZT.

Von einem Aufschrei Ebadis gegen die menschenfeindliche Sexualmoral und –gesetzgebung in ihrem Land hören wir nichts.  

S. 216 berichtet Ebadi von einem Fall, in dem sie tätig wurde: Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, er spioniere für Deutschland und ZUGLEICH: er habe „Affären mit Frauen“. Man beachtet die Gleichrangigkeit der Delikte! 

Wie ernst es Khomeinisten mit der Beleidigung der nationalen Ehre ist

Ebadi erzählt mehrfach von der Demütigung, die dem Land durch die Absetzung des Ministerpräsidenten Mossadegh widerfuhr und von der verstehbaren Wut der Iraner auf den damaligen Schah und die damalige USA (Ihren Empfindungen und denen ihrer Landsleute ist gewiss zuzustimmen!). – Wie wichtig führenden Iranern diese Demütigung in WIRKLICHKEIT war, erfahren wir von Ebadi selbst (S. 221). Sie berichtet, dass Dariush Forouhar (und seine Frau gleich mit in einem Aufwasch) im  November 98 von Regierungshäschern ermordet wurden, obwohl Forouhar ein enger Mitarbeiter von Mossadegh gewesen war, obwohl er unterm letzten  Schah jahrelang im Gefängnis gesessen und obwohl er anfangs  die Khomeini-Machtübernahme bejaht  hatte. - Ich kommentiere: So wichtig war diesen Khomeini-Leuten das Andenken an Mossadegh.

Mohrenwäsche des Islam

S. 199 behauptet Ebadi, der Islam trete „je nach Auslegung“ „für die Unterdrückung oder für die Befreiung der Frau ein.“ – Wie wärs mit einem einzigen Beleg für das Eintreten zugunsten der „BEFREIUNG der Frau“? Wir kriegen diesen Beleg nicht geliefert.

Melodramatik und offene Fragen 

Ebadi schildert S. 286f, wie das Regime mit einem studentischen Gegner umging. Sie spricht im Gefängnis mit dem schon länger Inhaftierten. Sie empfindet: Dieser Gefangene hat sich aufgegeben. Er sagt von sich selbst: „Nach dem, was sie mit mir gemacht haben, wie kann ich je wieder ein Mensch sein?“ – Ebadi setzt fort: „Er war genauso alt wie meine ältere Tochter. Als er ... mir seine entsetzliche Geschichte erzählte, hatte ich nur den einen Gedanken: Was, wenn dies meiner Tochter passiert wäre? Was in Gottes Namen hätte ich dann getan?“ (286)

-         Ja, was? Was? - Ebadi sagt’s uns nicht.                                     Veit Feger

eMail:  Veit.Feger@t-online.de

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