Gudrun Brzoska

Gespräch mit einer Literatursammlerin und Künstlerin

Als 58jährige begann G. Brzoska mit dem Sammeln und Analysieren  ungarischer, ins Deutsche übersetzter  Belletristik

EHINGEN  (vf) Die Arbeit, die in diesem Haus in der stillen Wohngegend am Ehinger Wolfertweg geleistet wird, passt  an ein Philologisches Universitätsseminar. Der Ort Ehingen ist aber eine Mittelstadt mit 20.000 Einwohnern, auf dem so genannten Flachen Land; getan wird diese Arbeit  von einer „Hausfrau“ Jahrgang 1944. Gudrun Brzoska sammelt seit etwa 2002  in deutscher Sprache gedruckte Belletristik aus der Feder ungarischer  oder ungarisch-stämmiger  Autoren. Brzoskas  Sonderbibliothek umfasst inzwischen fünfhundert Bände von etwa 190 Autoren; die Texte stammen vorwiegend aus dem Zeitraum ab 1900 und reichen  bis zur Gegenwart;   Ausnahme: der ungarische Nationaldichter Petöfi, auf den sich bis heute  immer wieder ungarische oder dem Ungarntum verbundene Autoren  beziehen. Ungarische Literatur, ins Deutsche übersetzt oder von Ungarn bereits auf DEUTSCH geschrieben, hat seit der sogenannten Wende und noch mehr seit der Frankfurter Buchmesse 1999 (Partnerland: Ungarn) in der Bundesrepublik einen zusätzlichen Aufschwung genommen. - G. Brzoska sammelt diese Bücher nicht nur, sie liest sie aufmerksam, sie verfasst von allen Romanen und Erzählungen möglichst genaue, nicht-deutende, nicht-wertende Inhaltsangaben und zu den einzelnen Autoren auch jeweils Biographien. Sie sammelt auch Fotos der Autoren.

Diese unalltägliche Sammel- und Erläuterer-Arbeit ist nicht nur in Deutschland, sondern sogar bereits in Ungarn wahrgenommen worden. Im Jahr 2010 wird Gudrun Brzoska ihre Bücher und  ihre zugehörigen Inhaltsangaben, Erläuterungen und Biographien in einer besonderen  Ausstellung in Pécs (Fünfkirchen) zeigen; Pecs ist dann (mit Essen/Ruhr) Europäische Kulturhauptstadt diesen Jahres. Schon einmal, im Mai 2006, war G. Brzoska dort zu Gast und hat auch bereits in anderen ungarischen Städten ihre Büchersammlung  plus Erläuterungen und Fotos ausgestellt; von daher rührt nun auch die wiederholte, ehrenvolle Einladung nach Pécs. 

Es waren eher Zufälle, die die Mittsechzigerin  zu ihrem Hobby führten. Indes, man kann eigentlich  inzwischen gar nicht mehr von HOBBY sprechen, weil dies alles in wirkliche, nun schon Jahre währende ARBEIT  „ausgeartet“ ist und jetzt auch auf die Zusammenfassung in ein Handbuch hinausläuft, für das die Autorin einen Verlag sucht. 

Osteuropäische Literatur hat die ausgebildete Buchhändlerin schon immer interessiert; Vorfahren mütterlicherseits stammen aus Ungarn; der Ehemann, ein 70jähriger, inzwischen pensionierter Chemie- und Biologie-Lehrer, hatte sich bereits in den 90er Jahren sehr für eine Partnerschaft mit einer ungarischen Stadt eingesetzt (Esztergom, einst: Gran); Dr. Wolf Brzoska leitet nun auch seit  Jahren den deutschen Verein zur Pflege der Partnerschaft mit der ungarischen Krönungsstadt Esztergom. Auf diesem Weg   lernte Gudrun Brzoska zahlreiche ungarische Menschen kennen, so gut in Ungarn  wie als Gäste in Ehingen. Wolf Brzoska war auch einige Jahre als Auslandslehrer tätig, von 1999 bis 2002 an einem Gymnasium in der von vielen Ungarn bewohnten rumänischen Großstadt Arad und dann bis 2004 in Sopron (Ödenburg) an der österreichisch-ungarischen Grenze.

Von daher kann man sagen: die Aufgeschlossenheit Frau Brzoskas und ihr  Interesse am Thema „Ungarn im weitesten Sinn“  sind verstehbar.

Begonnen hatte alles damit, dass Gudrun Brzoska im Jahr 2002 von dem damals wieder neu übersetzten Roman von Imre Kertész („Roman eines Schicksallosen“), wofür dieser den Literaturnobelpreis erhielt, sehr angetan war und dass sie zu einem Fest des Ehinger-Esztergomer Partnerschaftsverein im Jahr 2004 einen Beitrag leisten wollte, mit einer kleinen Ausstellung ihrer deutschen Bücher aus der Feder ungarischer Autoren.  

Damals kamen Gäste aus Ungarn nach Ehingen und sahen diese unübliche Buch-Schau. G. Brzoska wurde gebeten, ihre annotierte Sammlung auch in Esztergom zu zeigen. Es  folgten weitere Einladungen in andere ungarische Städte (schließlich sieht man es dort auch als Ehre für die Nation, wenn ungarische Autoren ins Deutsche übersetzt und dort verlegt werden). Es folgten Ausstellungen  dann auch in Deutschland, vor allem im Ungarischen Kulturinstitut Stuttgart bisher die größte von G. Brzoska vorbereitete Ausstellung dieser Art, und auch in anderen Städten des württembergischen Unterlandes, in denen zahlreiche ungarische Flüchtlinge nach dem großen Aufstand von 1956 eine neue Heimat suchten (Sindelfingen, Backnang, Gerlingen).

Um ihrer Qualitätsvorstellung entsprechende  biographische Begleittexte zu den Romanen und Erzählungen verfassen zu können, suchte und sucht Gudrun Brzoska im Lauf der Jahre Kontakt zu einigen Autoren und stieß meist auf herzliches Entgegenkommen.

Zahlreiche Biographien von LEBENDEN ungarischen oder mit Ungarn in Beziehung stehenden Autoren  sind bestimmt vom „Jahr 1956“: vom damaligen Aufstand vieler Ungarn gegen die sowjetischen Besatzer;  oder sie sind bestimmt zumindest von der  Flucht vor den nachfolgenden Repressionen,  Flucht meist der ELTERN  der Autoren  in westliche Länder. Es kam und kommt seitdem vor, dass die Kinder der Geflüchteten  ihre Texte bereits auf Deutsch verfassen (oder, wie die in die Westschweiz geflüchtete Agota Kristof, auf Französisch); bekannte Beispiele für „ungarische“ Autoren, die vorwiegend DEUTSCH  schreiben, sind zum Beispiel Zsuzsanna Gahse, Christina Viragh, Teresia Mora, die auch allesamt sehr bekannte und gesuchte Übersetzerinnen sind,  oder Imre Török und Zsuzsa Bánk. György Dalos fertigt von seinen ungarischen Texten für den deutschen Übersetzer bereits Rohübersetzungen an. -  Sei es durch ihre Biographie, sei es durch das Thema eines Werks, fühlen diese Autoren, die teils schon lange nicht mehr in Ungarn, sondern in Deutschland, Rom und der Schweiz leben, nach wie vor eine innere Verbindung zu Ungarn.

Stichwort „Török“: Dieser in Leutkirch im Allgäu lebende Schriftsteller, Sohn eines ungarischen Gesandten in Berlin und einer deutschen Mutter (die inzwischen selbst zur Schriftstellerin geworden ist), hat es zum Vorsitzenden des Baden-Württembergischen Schriftstellerverbandes und  seit 2005  zum Vorsitzenden des DEUTSCHEN Schriftstellerverbandes (mit Wiederwahl 2007) gebracht.

Auch wenn wie im Fall Agota Kristof Texte auf dem Umweg übers Französische ins Deutsche gelangten, gehören natürlich auch Bücher dieser inzwischen weltweit anerkannte Autorin zur Brzoskaschen Sammlung.

Im Zusammenhang mit ihrer Literatur-sammelnden und –analysierenden Arbeit entstand mancher persönliche Kontakt zwischen Brzoska und Autoren: Imre Török wie auch der in Berlin lebende Ungar  György Dalos waren schon Gäste in dem Haus am Ehinger Wolfertweg.

Interessant  in diesem Zusammenhang: Einige ungarische Autoren konnten infolge der politischen Situation in Ostmitteleuropa Texte zuerst in WESTLICHEN Ländern veröffentlichen, erst NACH der so genannten Wende dann in ihrem Geburtsland  UNGARN (Beispiele: György Konrád, György Dalos).

Die politische „Wende“ veränderte in seltsamer Weise die Empfindungen der  Öffentlichkeit darüber,  welcher Nation ein Autor denn angehöre: Einige Autoren wurden VOR der „Wende“ – obwohl ungarischer Abstammung – wegen ihrer sogleich auf Deutsch verfassten Texte als (eher) deutsche Autoren angesehen, seit der „Wende“ nun eher als UNGARISCHE.

Gudrun Brzoska stellt auch fest: Das, was an ungarischer Literatur ins Deutsche übersetzt wird, entspricht nicht unbedingt dem, was auf dem UNGARISCHEN Buchmarkt Erfolg hat: Sie nennt ungarische Autoren, die in ihrem Heimatland Bestseller schreiben, aber kaum ins Deutsche übersetzt werden.

Ich frage: Wie fallen   Entscheidungen bei der Frage: „Was wird übersetzt, was nicht?“

Diese Frage stellt sich auch  meine  Gesprächspartnerin: Aber die Befragung von Lektoren, Übersetzern, Verlegern ungarischer Literatur auf DEUTSCH – diese Aufgabe steht Gudrun Brzoska noch bevor. Derzeit hat sie  mehr als genug Arbeit, die ins Deutsche übersetzten oder bereits auf Deutsch verfassten Bücher GENAU zu lesen und zu referieren. Es kommen ja auch immer neue dazu. G. Brzoska  gibt  sich da wirklich große Mühe.

Sie lächelt: „ICH hab das Thema nicht gesucht, aber es hat MICH gefunden.“

Wegen der Fülle des Materials sortiert Brzoska inzwischen ihre Romane  (oder gesammelten Erzählungen) auch nach THEMEN:  etwa nach dem Stichwort „WEIBLICHE Autoren“; oder: „Literatur von ungarischen Autoren aus NICHT-Ungarn, also etwa aus  ungarischen Siedlungsgebieten  in Rumänien, Serbien, der Slowakei, in westlichen Ländern“; oder „Bücher zum Thema Ungarn-Aufstand“, oder „Ungarn und die Zeit des Nationalsozialismus“ etc. 

Noch wenig erstreckt sich Brzoskas Arbeit auf deutschsprachige  SACHliteratur ungarischer Autoren (obwohl es da in der Gestalt des einst berühmten Karl Kerényi einen gerade in Deutschland anerkannten, höchst produktiven ungarischen Autor auf dem Gebiet der Geistes-, Religions- und Mythengeschichte gibt).

 

Die künstlerische Tätigkeit musste zurückstecken

Wegen des Themas „Ungarische Literatur auf Deutsch“  hat die Mutter von drei erwachsenen Kindern ihre jahrzehntelange Lieblingsbeschäftigung, das künstlerische Gestalten von  Eierschalen, in den letzten Jahren  vernachlässigt.  Einige besonders schöne bemalte (oder sonst künstlerisch gestaltete) Eierschalen  stehen aber in einer Vitrine des Hauses am Wolfertweg. – Wegen des Literatur-Themas und auch wegen der Bemühung um ihre hochbetagten Eltern nahm G. Brzoska nun schon einige Zeit nicht mehr an überregionalen Eikunst-Ausstellungen teil. Der Kontakte mit anderen Künstlern dieses Genres geht ihr jetzt  sehr  ab, und so hat sie  Einladungen zu drei internationalen Ausstellungen im Jahr 2009  nicht erneut abgelehnt:  die Einladung zu Ausstellungen in Bad Reichenhall,  Seligenstadt und in Greiffensee/Schweiz.   Da G. Brzoska  schon  manches schöne Ei-Kunstwerk  verkaufte, kann sie für die anstehenden Termine nicht auf einen zureichenden Fundus  zurückgreifen, sondern muss in der nächsten Zeit einiges neu erarbeiten. Ein besonders schönes Stück benötigt gut und gerne seine fünfzig Stunden intensiver Arbeit.

Hier sei eine kleine Abschweifung zur Lebensgeschichte erlaubt:  Die junge Gudrun Ader aus der pfälzischen Stadt Speyer stand nach dem Abitur 1965 vor der Frage: Kunststudium (wie erwünscht)  oder doch  „etwas Sicheres“, was seinen Mann, genauer: seine Frau, ernährt. – Gudrun  entschied sich dann für Das-mehr-Sicherheit-Versprechende, für  eine Buchhändlerlehre, übte diesen Beruf auch einige Zeit aus und betreut nun seit Jahrzehnten nebenher die Bibliothek des Ehinger Kollegs „St. Josef“. Familie und drei Kinder hatten G. Brzoska ihre  hauptberufliche Buchhandelstätigkeit abbrechen lassen. - Ihre  nicht untergegangene  künstlerische Neigung lebte Gudrun Brzoska bei der Gestaltung von Eierschalen (oder auch überhaupt beim Malen) aus. „Eierschalen“: auch hier führte eine erste kleinere Ausstellung in Ehingen in den 80er Jahren, veranstaltet vom Museumsverein, zu Einladungen in andere Städte, in der Folge dann zu anderen, größeren, teils international renommierten Ausstellungen. - Gudrun Brzoska erzählt gern Geschichten auf ihren Eierschalen. Dass das möglich ist, davon überzeugt der Augenschein:  Brzoska malt entzückende von ihr erfundene  Szenen und Abfolgen. Von daher wird verstehbar, dass sie einst als Berufsperspektive eines Kunststudiums ans  Illustrieren von  Kinderbüchern gedacht hatte. Übrigens: Einer ihrer drei jüngeren Brüder wagte den Schritt zum Kunststudium und zum Hauptberuf „Künstler“. Augenzwinkernd sei angemerkt: Kunstsinn  schadet der Literaturfreundin bei ihrer Literatur forschenden Arbeit  sicher nicht.

 

Angaben zur Person:

Gudrun Brzoska, geboren im September 1944 als ältestes von vier Kindern des Ehepaars Brunhild und Dr. Franz Ader in der Nähe von Kaiserslautern. Die Eltern sind 1913 und 1910 geboren. Der Vater ist promovierter Biologe, Saatgut-Fachmann und arbeitete lange Zeit als Stellvertretender Direktor an der „Landwirtschaftlichen Forschungsanstalt“ in Speyer.

Aufgewachsen in Speyer.

Besuch des Gymnasiums dort, Abitur 1965.

Buchhändlerlehre, abgeschlossen 1967

Buchhändler-Tätigkeit u.a. in Ulm und Ehingen/Donau

verheiratet mit Dr. phil. nat. Wolf Brzoska seit 1966

lebt in Ehingen seit 1967

drei Kinder, geboren 1970, 1972 und 1975.

Wolfertweg 16, D - 89584 Ehingen, Tel.+Fax: 0049 7391 6650, g.brzoska@web.de > Ungarische Literatur in Deutschland <

 

Gudrun Brzoska steht vor ihrer inzwischen fünfhundert Titel umfassenden Sammlung von deutschsprachigen Büchern ungarischer oder ungarischstämmiger Autoren.  – Der Verfasser dieses „Portrait“-Textes kam eher zufällig zu diesem Thema. Bei einem Besuch im Haus Brzoska fiel ihm eine  Büste der Kaiserin Maria Theresia ins Auge. Ehemann Dr. Wolf Brzoska hatte sie als  Anerkennung seiner Verdienste um die Partnerschaft Esztergom-Ehingen erhalten. Das Thema „Partnerschaft“ führte mich, Veit  Feger, auch  zum Thema: „Warum so viele Bücher ungarischer Autoren?“ und zu der Neugier-motivierten Frage: „Frau Brzoska, wurde diese Ihre Tätigkeit schon mal in einer Zeitung oder im Internet größer vorgestellt, damit ich das dort nachlesen kann?“ Diese Frage wurde verneint. - Daraufhin war der früher  journalistisch tätige Verfasser dieses Portraits interessiert, die Büchersammlerin zu befragen und diesen Text hier zu schreiben. -         Foto: Veit Feger

 

Seit Jahrzehnten  lebt Gudrun Brzoska ihre künstlerische Begabung unter anderem in der Gestaltung von Eierschalen aus. Sie malt entzückende Geschichten miniaturisierend  auf die weißen rundlichen Kalkgebilde aus dem Bauch von Hühnern, Gänsen und Enten.  Foto: Veit Feger

 

Veit Feger

eMail:  Veit.Feger@t-online.de

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