Kurzer Briefwechsel mit einem katholischen Pfarrer und Dekan

mit einem Nachtrag September 2022

Ein „Kreuzweg" aus den 20er Jahren

Antisemitismus in einer katholischen Pfarrkirche

Ich besichtige häufig Kirchen. Bei einem zufälligen Hineinschauen in die Pfarrkirche Baienfurt nahe Ravensburg sehe ich einen sogenannten Kreuzweg, eine bildliche Darstellung der verschiedenen Stationen auf dem Leidensweg Jesu Christi. Ich wundere mich über die Darstellung der „Juden", mit denen es der Jude Jesus damals zu tun hatte: Da sind die geraden Nasen des Juden Jesus selbst, seiner Mutter, also der Jüdin Maria, und die deutlich krummen Nasen der verfluchenden und plagenden Juden, die NICHT Verwandte oder Anhänger Jesu waren.

Ich unterrichte mich über den Zeitraum der Kirchenausmalung. Das Ergebnis: Mitte der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts.

Ich kannte bis dahin antijüdische Stereotype in der spätmittelalterlichen Kunst: Juden mit Hakennasen, der Jude Jesus mit abendländisch-gerader Nase; vergangenen Sommer sah ich solche verschiedenen Nasen-Typen in einer Kirche in Karlstadt am Main (dort gab es im Mittelalter eine Judengemeinde).

Ich bin betroffen, diese Kreuzweg-Bilder aus den 20er Jahren unkommentiert in der Baienfurter Kirche hängen zu sehen. Ich wende mich brieflich an das zuständige Pfarramt.

Ich erhalte eine Antwort vom dortigen Pfarrer, zugleich Dekan des Dekanats Ravensburg. – Auf meine Rückantwort erhalte ich keine Antwort mehr.

Im Folgenden der kurze Briefwechsel aus ZWEI Briefen von mir und EINEM aus der Feder des Pfarrers und katholischen Ravensburger Dekans.

Ich denke manchmal daran, bei Gelegenheit auf Antisemitisches oder Antijudaistisches aus Südwestdeutschland an dieser Stelle hinzuweisen. Antisemitisches und Antijudaistisches, entstanden oder zumindest unkommentiert erhalten NACH „1945".

Was mich zu dieser meiner Absicht bewegt, ist die Empfindung, dass ICH, geboren 1944, über alles, was mit der Entrechtung, Enteignung, Verfolgung von Juden und anderen verfemten Gruppen während des Dritten Reichs zu tun hat, in meiner Jugend nur unzureichend unterrichtet wurde. Immer wieder stoße ich seit meinem Studium in den 60er Jahren auf diese deutsche Tradition des Beschönigens, Beschweigens, Leugnens und Verdummens.

Bild: Baienfurt, Kath. Pfarrkirche. Passionszyklus aus den 20er Jahren, knallhart antisemitisch. Foto: Praefcke http://twitpic.com/1cd7ba

 

Veit Feger, Josef-Probst-Straße 5, Ehingen, Veit.Feger@t-online.de

 

6. Januar 2007

 

An die katholische Kirchengemeinde Baienfurt

Kirchstraße 8

88255 Baienfurt

 

Betrifft: Ausmalung Ihrer Kirche

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

ich besuche durchfahrend gern Kirchen und schaue sie mir an.

Am Freitag war ich in Ihrer Pfarrkirche, in Baienfurt. Ich schaute mir auch die großen Kreuzweg-Bilder an den Wänden des Schiffs an. Und stellte zu meinem Erschrecken fest, wie gradnasig Jesus und wie hakennasig „die Juden" dargestellt sind; es gibt aber noch weitere antisemitische Details der Darstellung, die sich rasch erkennen lassen. - Zuhause suchte ich im Internet nach Daten über die Ausmalungszeit – „1925 – 1927".

Ich dachte und denke mir: Solche Bilder dürfen NACH der deutschen Shoa so unkommentiert dort nicht mehr sichtbar bleiben. Es sollte an den Bildern ein kleiner Hinweis angebracht sein über die Art der Darstellung und, da diese Ausmalung damals sicher im Einverständnis mit der Kirchengemeinde erfolgte, auch darüber, dass auch die katholische Kirche zu großen Teilen damals jenem unsäglichen Antisemitismus fröhnte, der dann eben in jener Shoa endete, wie wir wissen: nicht der ersten in der Geschichte Mitteleuropas.

Ich freue mich über eine Antwort.

Mit freundlichen Grüßen

Veit Feger

 

DIE ANTWORT

Heinz Leuze
Pfarrer von Baindt und Baienfurt - Dekanat Ravensburg
Dekan des Katholischen Dekanats Ravensburg
Stellvertretender Dekan des Katholischen Dekanatsverbandes Ravensburg

Sehr geehrter Herr Feger,
die Bilder unserer Pfarrkirche sind einige Zeit vor dem Dritten Reich (mit der schrecklichen Shoa) gemalt worden. Inwieweit der Künstler antisemitische Haltung hatte, kann ich nicht beurteilen. Auch wenn die Nasen zum Teil "hakennasig" sind, weiß ich nicht, ob Sie dem Künstler von damals Antisemtisitmus unterstellen dürfen. Ganz genau genommen sehen arabische, palästinensische, asiatische, vorderasiatische Menschen anders aus als Europäer. Ich würde daraus aber keinen Antisemitismus ableiten. Ich urteile nicht.
Da die Bilder von einem Künstler gemalt wurden, bleiben sie so wie sie sind - auch ohne Erklärungszusatz. Ob das nun künstlerische Freiheit ist oder etwas anderes - das ist nun mal so aus den Jahren 1925-1927. Da darf auch aus Respekt vor den Damaligen nicht eingegriffen werden. Unsere Baienfurter wissen die Bilder richtig zu deuten - weit ab vom Antisemitismus. - Wenn ich so handeln würde wie Sie es meinen, dann müsste man sogar einige Stellen aus dem Neuen Testament umschreiben. Auch da gibt es ja - das sagt die Theologie offen - Stellen, die man antisemitisch deuten könnte. Ich sage: Man muss immer die Zeit und die Umstände sehen, in der und in denen etwas geschrieben, gemalt ... wurde.

Mit freundlichen Grüßen
Dekan Heinz Leuze

Veit Feger, Ehingen, 13. 1. 2007

 

An den Dekan des kath. Dekanats Ravensburg, Pfarrer Leuze

 

Sehr geehrter Herr Dekan,

dankeschön für Ihren Brief.

 

Ich hatte bei dessen Lektüre die Empfindung, Sie hätten meinen Brief an die Kath. Kirchengemeinde Baienfurt NICHT gelesen.

Ich nenne in diesem Brief selbst das Datum, wann die Bilder entstanden sind, ich schreibe aber vor allem, „wie gradnasig Jesus und wie hakennasig „die Juden" dargestellt sind.

Nicht von einem durchschnittlichen Kirchengemeindemitglied, aber von einem katholischen DEKAN erwartete ich, dass er so viel Kenntnis von katholischer Kirchenkunstgeschichte hat, dass er weiß, auf wie vielen - teils berühmten - Kirchenbildern des Spätmittelalters (einer Zeit der schlimmsten Judenverfolgung in Deutschland VOR dem Holocaust) Jesus, Maria, Johannes und die frühen Anhänger Jesu „europäisch-gradnasig" dargestellt wurden, hingegen „die Juden" (die Pharisäer, Judas) hakennasig. Klar, sie wurden als die Leute stigmatisiert, die sich der göttlichen Gnade des Glaubenswechsels bösartig verschließen.

Ich dachte, einem DEKAN müsse ich kunstgeschichtlich gesicherten Erkenntnisse nicht schreiben. Er hätte mich als Oberlehrer abtun können.

Sie schreiben, es gebe im NT Stellen, „die man antisemitisch deuten könnte". – Die Geschichte antisemitischer Äußerungen von katholischen Geistlichen und vieler früherer antijudaistischer Handlungen zeigt, dass man sie nicht nur so im Konjunktiv „verstehen könnte", sondern so verstehen darf, ja sogar: muss.

Ich muss Ihnen nicht sagen, dass es inzwischen offizielle Aussagen katholischerseits gibt, die katholischen Antijudaismus eingestehen. Wie Sie ebenfalls wissen, ist es der katholischen Kirche (die von Beichtkindern fraglos Schuldeingeständnisse verlangt, damit das Sakrament der Beiche gültig sei) sehr schwer gefallen und sie hat es nur schrittweise geschafft, Mitschuld einzugestehen am Entstehen eines „Klimas", in dem viele Menschen wenig Widerstand gegen Judenverfolgung geleistet haben und viele begeistert in die Vorverurteilung von „Juden" (genau genommen: deutschen Staatsbürgern jüdischer Religion) einstimmten.

Was bei hochoffiziellen katholischen Aussagen üblicherweise fehlt, ist die „Vermittlung" des hochoffiziellen Antijudaismus nach „unten", zum „kleinen" Antisemitismus „vor Ort". Die Baienfurter Bilder sind für mich ein Beleg für Antisemitismus oder meinetwegen: Antijudaismus VOR ORT, einen Antijudaismus, an dem sich - bei dem tradierten Antijudaismus der katholischen Kirche - niemand gestört zu haben scheint – ein Umstand, der das ganze nicht besser, sondern schlimmer macht.

Gerade aus der Jahresbezeichnung 25 bis 27 ergibt sich einiges. In diesen Jahren erschien der „Stürmer" mit regulären antisemitischen Hetzzeichnungen von hakennasigen Juden.

Schauen Sie mal, ob katholische Repräsentanten damals gegen die Stigmatisierung der jüdischen Deutschen offen etwas einwandten; es wurde nur allgemein von „Rassenideologie" gesprochen, obwohl die damaligen Nationalsozialisten damals sehr genau und deutlich sagten, was sie mit „schlechter Rasse" meinten.

Ich meine, Ihre Antwort fiel wunderbar katholisch im herkömmlichen Sinn aus.

Vielleicht bekomm ich aber auch noch eine andere von Ihnen?

Mit höflichen Grüßen

Veit Feger

PS: Ein guter Bekannter von mir, ein jüdischer Deutscher, dem ich von meinem Briefwechsel erzählte, erzählte mir im Gegenzug einen Witz, den er einige Tage zuvor in seiner Synagoge gehört hatte. Ich finde ihn passend zu unserem Briefwechsel. Ich zitiere ihn verkürzt. – Ein als Jude an seinen Pejes-Locken und seinem Hut erkennbarer Jude sitzt in einer katholischen Kirche. Der Pfarrer sieht ihn da sitzen und meint: Er sei da als gläubiger Jude doch wohl am falschen Platz; weil: nächstens beginne hier ein katholischer Gottesdienst. – Der Jude bittet: „Kann ich noch ganz kurz sitzen bleiben?" – „Ja" - Der Pfarrer entfernt sich. Der Jude wendet sich zum Bild eines Gekreuzigten und sagt: „Komm, Joschua, wir müssen jetzt gehen."

 

Nachtrag September 2022

 

Fünfzehn Jahre nach dem vorstehend zitierten Briefwechsel, nämlich  im Frühjahr 2022, wandte sich Veit Feger an den zu jenem Zeitpunkt für die Pfarrkirche Baienfurt zuständigen Pfarrer und sprach ihn an auf das Ärgernis antisemitischer Gesichtszüge in der Passions-Ausmalung der Pfarrkirche.

 

Die Antwort lautete sinngemäß: Wir kümmern uns um das Thema. Wir machen uns Gedanken..



eMail:  Veit.Feger@t-online.de

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