Die zweibändige Adenauer-Biographie von Prof. Hans-Peter Schwarz, gefeiert von Prof. Dr. Timothy Ash.

 

Mein Brief an Ash 2008 ….
….eine Antwort erhielt ich nie…

 

Dass der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Gesellschaft den einstigen Bundeskanzler in den Himmel hebt, kann man sich vorstellen, dass aber ein von Deutschland eigentlich unabhängiger englischer Hochschulprofessor sich herablässt, eine solche Eloge mit einem Heiligenschein zu schmücken, das ist bitter. Im folgenden mein Brief an Prof. Dr. Timothy Garton Ash mit zahlreichen Zitaten aus der von Ash gefeierten Biographie, an ihn geschrieben im Jahr 2008. Eine Antwort erhielt ich nie……..

Veit Feger, Josef-Probst-Straße 5, 89584 Ehingen,

An Prof. PhD Timothy Garton Ash

Betrifft: Ihre positive Bewertung der Adenauer-Biographie von Hans-Peter Schwarz im „Times Literary Supplement“, zitiert als Werbung auf dem Cover der deutschen Taschenbuch-Ausgabe

Verehrter Herr Ash,
zunächst bitte ich um Nachsicht, dass ich Sie auf Deutsch anschreibe. Ich vermute aber, dass mein Englisch viel zu schlecht ist, um Sie damit zu belästigen.

Ich habe meine Taschenbuch-Ausgabe der Adenauer-Biographie (dtv 1994) auch deshalb erworben, weil auf dem Buchrücken Ihre Empfehlung stand, aus Ihrer Rezension im Times Literary Supplement, übersetzt: „Ich bin ungeheuer beeindruckt... elegant, lebendig, voller Einsichten.... Die beiden Bände zeigen, was beste deutsche Gelehrsamkeit noch zu leisten vermag.“
Fabelhaft, dachte ich mir damals.

Dann befragte ich diese Biographie kürzlich unter dem Aspekt „Drittes Reich, Aufarbeitung des Dritten Reichs“ und war verblüfft über das, was Schwarz da so schreibt.
Ohne jeden Zweifel: Das Buch ist ein Zeugnis großer Gelehrsamkeit. Aber zugleich ist es eine Philippika gegen viele Kritiker Adenauers, eine Philippika, die ich im Blick auf die deutsche Geschichte der letzten sechzig Jahre für FATAL halte.
Mich hat seit meiner Studentenzeit (ich war unter anderem Hörer von Ernst Bloch, Theodor W. Adorno und Ralf Dahrendorf) die Wahrnehmung umgetrieben, wie unsäglich unbefriedigend man in Deutschland mit der deutschen NS-Vergangenheit umging. Das gilt nicht nur für die Bestrafung von Kriminellen, sondern auch für die Verschweigung brauner Texte von Professoren, die nach 1945 noch immer hochangesehen waren und gefeiert wurden; das gilt von der Wiedergutmachung und von der Verdrängung jener Zeit in der verschiedensten Weise. In Deutschland meinten viele und einige meinen es immer noch: „Auschwitz ist ein Ort in Polen, wir haben hier in unsere deutschen Städtchen damit nichts zu tun.“

Als ich nun die Adenauer-Biographie aus der Feder von HP Schwarz las, wurde mir deutlich, wie sehr diese verdrängende und umwertende Haltung sich auf unseren angesehenen ersten Bundeskanzler Adenauer berufen kann.
Ich finde es aber sehr unbefriedigend, wenn die Haltung Adenauers in puncto Drittes Reich so entschieden verteidigt wird wie von HP Schwarz, der - muss ich nun feststellen - nicht umsonst seit 1984 Mitglied des Vorstandes der Konrad-Adenauer-Gesellschaft war oder noch ist.
Aus der Diktion von HP Schwarz erschließe ich, dass es unnütz wäre, ihn auf dieses Thema anzusprechen. Aber von einem nicht-deutschen Kritiker hatte ich mir anderes in einer Rezension als so pralles Lob erwartet.
Nun kann es natürlich sein, dass Ihre Rezension in der Times vom deutschen Verleger nur unvollständig widergegeben wurde, aber der Duktus der oben zitierten Zeilen spricht nicht dafür.
Ich möchte im Folgenden darlegen, welche Stellen in der Adenauer-Biographie mich empörten.
In einem Kapitel über Wahlkämpfe schreibt HP Schwarz: Adenauer empfing Generalfeldmarschall Kesselring, „der bis vor kurzem (1952) von den Briten als angeblicher Kriegsverbrecher eingesperrt worden war. Anfang Juli 1953 darf sich Generalfeldmarschall von Manstein im Bundeskanzleramt einfinden, um mit dem Wahlkämpfer über dessen Verhältnis zu den Soldatenverbänden zu sprechen.“
Adenauer besucht „das berüchtigte Gefängnis Werl, wo die Briten noch einige der von ihnen verurteilten Wehrmachtsangehörigen gefangen halten... Seit er selbst in Brauweiler einsaß, weiß er, wie Verurteilten zumute ist.“ - HP Schwarz argumentiert also sinngemäß so: Weil der Nazi-Gegner Adenauer von den Nazis inhaftiert wurde, weiß er, wie sich (wegen ihrer NS-Nähe) Inhaftierte fühlen. Die Konsequenz aus einer solchen Argumentation kann eigentlich nur lauten: Inhaftiere keine NS-Täter!
„In Werl spricht Adenauer mit zwei Generalen, deren Schicksal die konservative Presse und die Soldatenverbände seit Jahren aufregt: mit Generaloberst von Falkenhorst und dem General der Waffen-SS Kurt Meyer. Beide seien ordentlich untergebracht, berichtet er (sc. Adenauer) dem Kabinett.“ S. 96. – Man stelle sich vor, welche Wichtigkeit für die Politik der Bundesregierung das Wohlbefinden zweier Generale hatte! Hat sich Adenauer jemals in dieser Form um das Wohlbefinden ehemaliger KZ-Insassen gekümmert, um das Schicksal von Desertierten etc.?

Die aus den Bundeskanzleramts-Akten belegbare Aussage, dass die beiden Generale „ordentlich untergebracht“ seien, widerspricht im Übrigen der 12 Zeilen weiter oben zitierten Qualifizierung des Gefängnisses in Werl durch HP Schwarz als „berüchtigt“.
Wenn man sich die Tätigkeit der Waffen-SS im Dritten Reich anschaut, gerät Adenauer in ein ganz eigenartiges Licht.
Auf S. 527, im Kapitel „Die Gespenster der Vergangenheit“ wird die Einstellung des Autors Schwarz ganz deutlich: „Innenpolitisch hält Adenauer erst recht nichts vom neurotischen Dauergeschwätz über die NS-Vergangenheit... Mit nachträglicher Beschwörung der NS-Vergangenheit ist er schon deshalb recht zurückhaltend, weil er die Biographie seiner Landsleute viel zu gut kennt. Echte Widerstandskämpfer oder wenigstens NS-Verfolgte und -Benachteiligte sind in seiner engeren politischen Umgebung genau so selten wie in der gesamten Bevölkerung.“
Dem Autor Schwarz ist hier entgegenzuhalten: Es gab durchaus Widerstandskämpfer und NS-Verfolgte, sogar in Deutschland, aber sie waren in anderen Parteien und sie wollten partout nicht zu einer Partei gehören, deren Vorsitzender nazistische Generale im Kriegsverbrechergefängnis besucht. Zudem: Viele NS-Verfolgte waren - damals sowieso - im Ausland und die allerwenigsten von ihnen wurden gebeten zurückzukommen. Wenn es Einladungen aus dem deutschen Sprachbereich an von den Nazis Verfolgte gab, die im Ausland überlebt hatten, dann kamen solche Einladungen eher aus der DDR (etwa an den damals in Palästina lebenden Autor Arnold Zweig oder den damals in den USA lebenden Philosoph Ernst Bloch, oder den Schriftsteller Bert Brecht).
Dass sich viele Verfolgte, denen im Ausland das Überleben gelungen war, nicht gern in die nach wie vor braun verseuchte Bundesrepublik FREIWILLIG zurückbegeben wollten, ist nur verständlich. Aber wo hätte Adenauer etwas getan, um die Verfolgten zurückzuholen??? Es wurden von der Bundesregierung keine Einladung an Geflüchtete ausgesprochen – und eine wichtige Voraussetzung dafür, dass eine Reihe Geflüchteter zurückgekehrt wäre, wäre eine ordentliche Strafverfolgung der NS-Täter gewesen.

Es gibt genügend Aussagen von während des Dritten Reichs Geflüchteten: Sie mochten nicht zurück nach Deutschland, weil sie nicht einem Übeltäter von einst in regulärer Position begegnen möchten. Was hat Adenauer getan, damit diese Befürchtung der Überlebenden vermindert wurde??
HP Schwarz entschuldigt die entschiedenen braungefärbten engsten Mitarbeiter von Adenauer mit folgendem Satz: „Viele, ... mit denen er im Kabinett oder in der Parteiführung zusammenarbeitet, weisen in ihrem Lebenslauf wohlbekannte Fehler, betrübliche Arrangements mit den Herren von gestern, Doppelspiel, tragische Verstrickungen oder frisch¬fröhliches Mitläufertum auf. ...Hans Globke hat, wie jedermann weiß, den Kommentar zu den ,Nürnberger Gesetzen‘ mitverfasst.“ Was den einstigen SS-Aktiven Theodor Oberländer betrifft, zitiert Schwarz einen rechtfertigenden Satz von Kanzler Adenauer (ohne dass die mindeste Distanzierung Schwarzens merklich würde): Oberländer sei „unter den teuflischen Bedingungen des Ostfeldzugs zugleich bemüht (gewesen), die Grundsätze der Zivilisiertheit und der Vernunft nicht preiszugeben.“
Wenn diese Einschätzung Adenauers nur zitiert und ihr nicht widersprochen wird, dann ist das reine Mohrenwäsche für Oberländer und zeigt, wie sympathisch ehemalige Parteigenossen dem Bundeskanzler waren, und zwar in der Verbrechensmaschinerie hoch aktive Parteigenossen.. Über Oberländer sagt Adenauer vor dem CDU-Bundesvorstand: Er habe „sich niemals irgendwie an verbrecherischen Taten beteiligt, im Gegenteil, er hat dagegen Stellung genommen, innerhalb der NDSAP, und hat infolge dessen innerhalb der NSDAP große Schwierigkeiten gehabt“. ( S. 530) (Siehe dazu den sehr informativen Wikipedia-Text über Oberländer).

Die DDR-Regierung versuchte während der gesamten Zeit ihres Bestehens, ihre Legitimation auch dadurch zu erweisen, dass sie sich als NS-kritisch darstellte. Sie sei ein anderer Staat, sie sei kein Nachfolger des Deutschen Reichs. Zu dieser Selbstdarstellung gehörte, dass die DDR-Regierung und ihre Adlaten auf die braune Vergangenheit von nach wie vor hochrangigen BRD-Bürgern BRD hinwiesen. Für den Autor Schwarz ist die Sachlage einfach: Wenn das Material aus der DDR kommt, ist es gut möglich, dass es „gefälscht“ ist (S. 5299, jedenfalls ist es nicht weiter ernstzunehmen.
Für Adenauer und wohl auch für seinen Verehrer HP Schwarz waren Menschen, die ehemals Braune in BRD-Funktionen kritisierten, nicht als böswillig, Schwarz: Sie haben keine „anerkennenswerten Motive der politischen Hygiene“ S. 529 – eine bemerkenswerte Wortwahl! Es geht nicht um Recht, Strafe, Sühne, Moral, sondern um „Hygiene“.

Wir Bundesrepublikaner (zu denen ich mich auch zähle) erfahren im Lauf von Jahrzehnten immer wieder etwas Neues über klar kriminell tätige Menschen im Dritten Reich, Einzelheiten, die nicht bekannt waren und die eindeutig von den Tätern verschwiegen worden waren.
Ein Grund für die unzureichende Strafverfolgung vieler Täter ist: Die Justiz der BRD war zu großen Teilen so braun, dass sie sich mit der Strafverfolgung wenig oder gar keine Mühe gab und, kam es zum Prozess, dass die Strafbemessung extrem freundlich ausfiel.
Ein anderer Grund, dass wir immer wieder noch neue Scheußlichkeiten und neue Lügen erfahren, war: Die NS-Täter ließen vor der Niederlage nach Möglichkeit jene Akten „verschwinden“, die einen (von einem Rechtsstaat geforderten) Nachweis ihres Unrechttuns hätten liefern können. Aber für Schwarz ist die Verfolgung von NS-Tätern oder auch nur wenigstens ihre Entfernung aus politisch relevanten Positionen „Hygiene“.
Die öffentliche Kritik an Oberländer wird von Schwarz als „Hexenjagd“, das heißt sinngemäß: als Verfolgung von Unschuldigen, diffamiert S. 529.

Als Oberländer seinen Rücktritt anbietet, nimmt Adenauer diesen nicht an – ein Anlass für Schwarz, Adenauer zu feiern: „Zu den schätzenswerten Eigenschaften Adenauers gehörte es, Minister oder Mitarbeiter nicht fallenzulassen, wenn sie – wie im Falle Oberländer - zu Unrecht verdächtigt und in einem Ost-Berliner Schauprozess in absentia verurteilt werden.“

Als einige wenige Studenten Ende der 50er Jahre beginnen, genauer nach der Vergangenheit ihrer Uni-Lehrer oder nach der Tätigkeit anderer zu ihrer Zeit anscheinend honoriger Personen während des Dritten Reichs zu fragen, Dokumente zu suchen und vorzulegen, da denunziert HP Schwarz diesen Vorgang sinngemäß als Sorte von kuriosem Freizeitspaß: „Das Thema NS-Vergangenheit beginnt damals vor allem die Studenten zu fesseln.“ 529.

Die Bemühung einiger deutscher Studenten (vor allem Mitglieder des damaligen SDS), die NS-Zeit von prominenten BRD-Bürgern aufzuhellen, wird von Schwarz auch dadurch zu entwerten versucht, dass er sie als Ausfluss einer prokommunistischen Einstellung zu diffamieren versucht: „die Überwindung des Antikommunismus im Zeichen des Antifaschismus.“

Ich möchte dazu anmerken: Ich selbst studierte zur Zeit der Studentenbewegung und ich kann nichts anderes sagen als: Dem überwiegenden Teil der Studentenschaft waren DDR wie Sowjetunion unsympathisch. Wir Studenten befassten uns mit dem Thema „Nazis in der BRD“ nicht deshalb, um Sozialismus oder Kommunismus hoffähig zu machen. Wir lehnten aber Informationen aus der DDR über westliche Braune nicht bereits deshalb ab, weil sie aus der DDR stammten.
Schwarz hält eine pro-NS-Einstellung unter Bundesbürgern für angeblich völlig überholt, wenn er dieses Thema als „Gespenster der Vergangenheit“ und als „herumgeistern“ bezeichnet, er schreibt: Seit dem Frühjahr 1959 beginnen „die Gespenster der Vergangenheit stärker als früher auch in der Öffentlichkeit der westlichen Großmächte herumzugeistern“.

Sehr geehrter Herr Professor Ash,
ich freue mich auf Ihre Antwort.
Mit freundlichen, respektvollen Grüßen Veit Feger

Ich erhielt nie eine Antwort.

 

Siehe auch: http://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Oberländer


 

eMail:  Veit.Feger@t-online.de

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